Starnberg:Ohne Schuldbewusstsein

Zwei Mediziner aus dem Fünfseenland fühlen sich ungerecht behandelt und wollen Verurteilung wegen Abrechnungsbetrugs nicht hinnehmen. Der Berufungsprozess vor dem Landgericht München dauert an

Von Andreas Salch, Starnberg

Die Ermittler kamen in Zivil um kurz nach 9 Uhr. Mehr als drei Stunden durchsuchten acht Beamte der Kriminalpolizei Fürstenfeldbruck Ende September 2011 die Praxis sowie die privaten Wohnräume einer heute 64-jährigen Medizinerin aus dem Fünfseenland. Die Frau stand in dem Verdacht, Patienten ohne die erforderliche ärztliche Berufszulassung zu behandeln. Außerdem wurde ihr vorgeworfen, sie habe gegen das Heilpraktiker-Gesetz verstoßen und sich unberechtigterweise als Ärztin ausgegeben. An diesem Dienstag musste sich die Medizinerin vor dem Landgericht München II verantworten.

Neben ihr auf der Anklagebank saß ihr Kollege, ein Arzt, der sich inzwischen im Ruhestand befindet. Er arbeitete zeitweise in der Praxis der Frau. In erster Instanz hatte das Amtsgericht Starnberg im Mai vergangenen Jahres beide wegen Abrechnungsbetrugs verurteilt. Der 72-jährige Arzt erhielt eine Bewährungsstrafe von einem Jahr. Seine Kollegin indes wurde zu einer Gefängnisstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen diese Entscheidung legten die Medizinerin und ihr Kollege nun Berufung ein. Allerdings auch die Staatsanwaltschaft. Sie will, dass die Frau und ihr Kollege zu höheren Strafen verurteilt werden. Der 64-Jährigen wird Betrug in 77 Fällen zur Last gelegt. Der Arzt soll sich 70 Mal des Betrugs schuldig gemacht haben. Da die Medizinerin keine Zulassung als Ärztin gehabt habe, sei sie nicht berechtigt gewesen, Patienten-Rechnungen nach der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) abzurechnen, lautet der Vorwurf der Staatsanwaltschaft.

Der Arzt will das Urteil des Amtsgerichts Starnberg nicht akzeptieren. Sein Verteidiger sagte, seinen Mandanten störe, dass in der Urteilsbegründung stehe, dass er Leistungen auf seinen Namen abgerechnet habe - obwohl er gewusst habe, dass er dies nicht dürfe, da seine Kollegin keine Zulassung als Ärztin habe. Ein approbierter Arzt dürfe laut GOÄ aber sehr wohl für jemanden Patienten-Rechnungen ausstellen, der keine ärztliche Zulassung habe, so der Verteidiger. Seine Kollegin hatte ihre Approbation nach einem strafrechtlichen Verfahren abgeben müssen. Ihr war vorgeworfen worden, sie habe davon gewusst, dass ihr Sohn und dessen Freund in ihrem Auto Drogen transportiert haben sollen. Den Vorwurf bestreitet die 64-Jährige bis heute nachdrücklich.

Bei seiner Vernehmung stellte der 72-Jährige klar, dass er als "verantwortlicher Arzt" in der Praxis seiner Kollegin gearbeitet und ihr gesagt habe, was zu tun sei. Außerdem seien alle Patienten darüber informiert worden, dass der 64-Jährigen die Approbation entzogen worden sei. Kein einziger Patient soll sich hieran gestört haben. Die meisten hätten sich sogar bedankt, dass sie trotzdem von ihm und seiner Kollegin behandelt wurden, so der 72-Jährige. Bei den Menschen, die bei ihnen Hilfe gesucht hätten, habe es sich um "austherapierte Fälle" gehandelt. Personen also, an denen die Schulmedizin alles ausprobiert habe, jedoch ohne Erfolg.

Der Arzt ist sich keiner Schuld bewusst. Freimütig bekannte er deshalb, dass er und die Medizinerin nach der Verurteilung durch das Amtsgericht Starnberg bis März dieses Jahres weiter Patienten behandelt hätten. Der Prozess dauert an.

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