Starnberg:Odyssee im Landkreis

Weil Starnberg mehr minderjährige Flüchtlinge aufnehmen soll als gedacht, sucht das Jugendamt nach Immobilien und Pflegefamilien. Die Kreisbehörde hat im Herbst 25 neue Mitarbeiter eingestellt, um die Aufgaben zu bewältigen

Von Christiane Bracht, Starnberg

Dem Starnberger Jugendamt stehen schwierige Monate ins Haus: Seit Dienstag ist nämlich klar, dass das Fünfseenland noch mehr minderjährige Flüchtlinge aufnehmen muss als gedacht. Noch vor einem Monat war man davon ausgegangen, 128 Kinder und Jugendliche auf die Einrichtungen im Landkreis verteilen zu müssen. Nach langen Verhandlungen mit viel Fingerspitzengefühl hatte die Leiterin des Jugendamts, Rosemarie Merkl-Griesbach, im August eine Idee, wie sie dies schaffen könnte. Doch jetzt kommen voraussichtlich 30 junge Flüchtlinge mehr, die sich auf eigene Faust nach Deutschland durchgeschlagen haben. "Als wir davon hörten, blieb uns kurz die Luft weg", stöhnte Merkl-Griesbach im Jugendhilfeausschuss. Das größte Problem ist nämlich die Immobiliensuche.

Seit Monaten fahre sie nur noch durch die Gemeinden und schaue, welche Häuser oder Wohnungen leerstehen, und versuche, die Eigentümer ausfindig zu machen, um mit ihnen über Mietverträge zu verhandeln. Doch die Nachbarn seien meist nicht erpicht darauf, Teenager aus der Fremde um sich zu haben, und die Eigentümer wollen das Verhältnis zu ihnen nicht unnötig belasten. Dabei sind die Flüchtlingskinder "ausgesprochen nette, lernwillige und hoch motivierte junge Leute", sagt Merkl-Griesbach. "Aber wir haben nur dort Erfolg, wo die Leute schon Kontakt zu Flüchtlingen hatten, denn da sind die Vorbehalte der Begeisterung gewichen." Angesichts der neuen Zahlen ist der Druck auf das Jugendamt, passende Immobilien zu finden, nun allerdings deutlich erhöht.

Zwar klingt 30 Jugendliche mehr zunächst nicht nach einem unlösbaren Problem. Aber es reicht nicht, den Minderjährigen nur ein Bett hinzustellen, so wie es derzeit oft mit Erwachsenen gehandhabt wird. Jugendliche müssen auch pädagogisch betreut werden, falls nötig eine Therapie bekommen und in die Schule geschickt werden. An Trägern von sozialen Einrichtungen, die sich um die Neuankömmlinge kümmern wollen, mangelt es in Starnberg zum Glück nicht. Nur an Zwei- oder Drei-Zimmer-Wohnungen, in denen eine Gruppe junger Flüchtlinge untergebracht werden könnte. Natürlich würden sie nicht sich selbst überlassen, sondern von Pädagogen beaufsichtigt, versichert Merkl-Griesbach. "Es wäre wünschenswert, wenn wir die Jugendlichen dezentral unterbringen könnten, schon damit die Schulen nicht überfordert sind."

Alternativ hofft sie auf Pflegefamilien, die ein oder zwei Kinder aus der Fremde aufnehmen würden. "Das ist ein guter Weg zur Integration", weiß die Jugendamtsleiterin. Natürlich prüfe man zuvor, ob die Flüchtlinge zu der Familie passen und dass keine falschen Vorstellungen aufkommen, um Enttäuschungen vorzubeugen. Alles was die Interessenten brauchen, ist ein polizeiliches Führungszeugnis.

92 Flüchtlingskinder sind bereits im Fünfseenland untergekommen, 15 erwartet das Jugendamt noch im September, die ersten sind schon da. Und im Oktober sollen 25 weitere in den Einrichtungen des Landkreises einquartiert werden. "Das Tempo nimmt zu. München verlegt immer schneller", erklärte Heike Ostermayer, die stellvertretende Jugendamtsleiterin. Für ihre Behörde bedeutet das: Jetzt muss auch Starnberg Gesundheitsuntersuchungen übernehmen, abklären, in welchem Zustand die Neuankömmlinge sind und was sie brauchen. Auch die Bestellung von Vormündern fällt nun in die Aufgabe des Landkreises. Bisher hat dies alles München übernommen, doch das dortige Jugendamt ist hoffnungslos überlastet.

Die neuen Aufgaben sprengen aber auch Kapazitäten der Starnberger Behörde - und so sucht sie nun mehr Personal. Vier Sozialpädagogen und eine Verwaltungskraft will das Jugendamt demnächst einstellen. Auch in anderen Bereichen, die sich mit dem Thema Asyl beschäftigen, ist das Personal inzwischen deutlich aufgestockt. Allein im Herbst hat die Kreisbehörde 25 neue Mitarbeiter angestellt, "die Tendenz ist weiter steigend", weiß Merkl-Griesbach. Natürlich wird sich das auch auf die Finanzen auswirken. In der nächsten Woche muss der Kreisausschuss bereits über den ersten Nachtragshaushalt beraten. Auch das Jugendamt braucht deutlich mehr Geld, wie viel genau, steht noch nicht fest, aber voraussichtlich wird es fünf bis sechs Mal so viel sein wie im Vorjahr, kündigt die Leiterin an.

Die Vormundschaften für die minderjährigen Flüchtlinge kann das Jugendamt nicht mehr übernehmen, auch wenn viele nur kurz dauern werden. "Im Landratsamt fehlen Büros, um noch mehr Personal einzustellen", erklärt Merkl-Griesbach. Man werde diese Aufgabe dem Verein für Betreuungen überlassen, der aus diesem Grund ebenfalls schon eine Stelle ausgeschrieben hat. Der Landkreis will diese mit rund 30 000 Euro für ein Jahr bezuschussen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: