Starnberg:Ochs und Esel im Stall sind die Ausnahme

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Christine Bauer auf Ihrem Hof, hier mit Esel Karli. (Foto: Arlet Ulfers)

In der Weihnachtskrippe stehen sie selbstverständlich nebeneinander. In der Realität sind die beiden eher selten Nachbarn. Auch, weil sie sehr anspruchsvoll sind.

Von Carolin Fries, Drößling/Pähl

Wenn man so will, ist "Karli" der Großvater auf dieser Weide in Drößling. Sie wird von einer milden Wintersonne beschienen. 37 Jahre ist der Esel alt und ein Erbstück. Christine Bauer, 67, hat ihn von ihrem Vater übernommen, der sich mehrere Tiere auf einer kleinen Hütte in Perchting hielt. Die Ziegen, Schafe und Schweine gibt es nicht mehr, geblieben ist allein Karli - "und der Virus", wie Bauer die Liebe zu den Tieren nennt. Als der Virus vor 28 Jahren ausbrach, verkauften Christine Bauer und ihr Mann Anton das Einfamilienhaus in Pöcking und zogen mit ihren beiden Buben auf einen landwirtschaftlichen Hof inklusive 17 Hektar Weideflächen, den sie seither im Nebenerwerb bewirtschaften. Ein Jahr nach dem Kauf kamen die ersten Angus-Rinder.

Der Ochse ist ein seltener Anblick in Starnberg

Massig und doch elegant tollen die jungen Färsen und Ochsen über den Hang, das dicke Winterfell lässt sie noch mächtiger erscheinen. Ein seltener Anblick im Landkreis Starnberg, das Veterinäramt schätzt die Zahl der Ochsen auf etwa 100. Für die meisten Betriebe ist die Haltung unwirtschaftlich. Zwar lässt sich für Ochsenfleisch ein höherer Preis erzielen als für Bullenfleisch, gleichzeitig sind aber die Produktionskosten wegen der längeren Mastdauer höher als bei der Bullenhaltung. Bis zu seinem Tod im vergangenen Jahr hat "Horst", so der Name des hauseigenen Stiers, stets für Nachwuchs im Stall der Bauers gesorgt. In diesem Sommer hat man "Tarzan" ausgeliehen, einen roten Stier, der ein bisschen Farbe in den Stall gebracht hat.

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Familie Bauer lässt die jungen, namenlosen Bullen im Alter von drei Monaten kastrieren, um bei der Mutterkuhhaltung die Inzucht innerhalb der Herde zu unterbinden. Dafür muss die Herde nicht getrennt werden, die Kälber werden neun Monate lang gesäugt, bleiben im Laufstall und auf der Weide immer zusammen. Nur wenn's ums Fressen geht, kommen die "Kinder" an einen eigenen Futtertisch in den Kinderstall. Sechs Jungtiere kauen dort mit dampfenden Nasen in der Kälte Grassilage und Heu wider - als wäre allein das der Sinn ihres Daseins. Für Christine Bauer sind sie ein Teil dessen. Sie bewundert die klugen Geschöpfe für ihre Zufriedenheit und ihre stoische Ruhe. Esel "Karli" sowieso. 1995 hatte er einen Auftritt mit der Starnberger Heimatbühne, "mein Star", wie Bauer lächelnd sagt.

Bauers Alltag mit Ochs und Esel ist die Ausnahme. "Die gemeinsame, vermeintlich idyllische Haltung von Ochs und Esel dürfte heute kaum mehr anzutreffen sein", sagt Johannes März, Leiter des Starnberger Veterinäramts. Nur in den Weihnachtskrippen, die alle Jahre aus Speichern und Kellern geholt werden, da scheint sie selbstverständlich. Obwohl die Tiere in der Weihnachtsgeschichte nach dem Lukas-Evangelium gar nicht vorkommen. Wie so manch anderes vertraute Motiv biblischer Geschichten stammen die Vierbeiner aus so genannten apokryphen Evangelien, Texten also, die im Verborgenen entstanden und nicht in den Kanon der neutestamentlichen Schriften aufgenommen wurden.

Im sogenannten Pseudo-Evangelium des Matthäus etwa verkündet der Prophet Jesaj: "Der Ochse kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn." Darüber hinaus haben die Tiere "tief greifendere Symbolgehalte", wie die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) auf ihrer Website erklärt. So stehe der Esel als demütiges und dienendes Tier für die Demut und Aufopferung Jesus Christus. Der Ochse als typisches Opfertier des Alten Testaments verweise auf die Kreuzigungsgeschichte. "Gelegentlich sieht man im Esel den Juden, im Ochse den Heiden verkörpert", heißt es über das tierische Gespann.

Der demütige Esel also. Wenn "Camillo" das wüsste. Der braune Esel von Anahid Klotz, 51, will immer im Mittelpunkt stehen. "Ich wollte schon immer einen Esel", sagt die blonde Frau aus Pähl, Friseurin, Skilehrerin und Betriebswirtin. Zehn Esel stehen jetzt im Stall etwa einen Kilometer vom Wohnhaus entfernt an einem Waldrand, drumherum nur Wiesen. Den Job in der Unternehmensberatung hat Klotz längst geschmissen, sie lebt jetzt für ihre Eselfarm "Asinella", übersetzt das Eselchen. "Wenn ich mit den Eseln spazieren gegangen bin, wollten immer jemand mitgehen", erklärt sie. Also entschloss sie sich, Eselwanderungen anzubieten.

Längst besucht sie mit ihren Tieren Schulen und Seniorenheime, nutzt die Esel für therapeutische Arbeit, veranstaltet auf Bestellung Kindergeburtstage. Immer hat sie einen großen Kübel mit Bürsten dabei, "Camillo", "Lolo", "Walli", "Eddi" und wie sie alle heißen, lassen sich dann stundenlang Fell und Mähne frisieren. Anahid Klotz hat die Erfahrung gemacht, dass der Mensch im Umgang mit dem Esel Geheimnisse findet. Umgangssprachlich formuliert sie es später so: "Wenn man dem Tier etwas Gutes tut, tut man sich selbst etwas Gutes." Viele Menschen hätten das inzwischen verlernt.

Anders als Pferde haben Esel Geduld

Man ist freilich etwas überrumpelt, wenn einem ein Großesel die Nase in die Seite stemmt, sobald man die Streichelei einstellt und im Innersten berührt vom treumütigen Blick des erst zwei Jahre alten Zwergesels Benjamin, der bereits eine schwere Lungenentzündung hinter sich hat. Vor allem aber: Alles, was man zu wissen meint, spielt im Eselstall keine Rolle. Es gilt neu herauszufinden, wie das Wörtchen "zusammen" funktionieren kann, was ein jeder an Nähe zulässt. "Bei Eseln gibt es keinen Chef, kein Gerangel", sagt Klotz. Dieser Umstand ist die Grundlage ihrer Arbeit: Der Mensch wird Teil der Herde, vorausgesetzt, er ist dazu bereit. Dafür gibt es vorbehaltlos geschenktes Vertrauen. Anders als Pferde haben Esel Geduld, "sie sind nicht ehrgeizig und zudem humorvoll", sagt Klotz.

Der Tiermediziner Johannes März schätzt die Zahl der Esel im Landkreis Starnberg auf etwa 20 und spricht von "reiner Hobbyhaltung". Wirtschaftlich hat die Eselhaltung keine Bedeutung, zudem gilt sie verglichen mit der von Rindern als anspruchsvoll. "Tierhalter kennen die besonderen Bedürfnisse von Esel oftmals nicht", so März, sie würden als nette Zugaben gesehen, die mit anderen Tieren "mitlaufen." Bei Anahid Klotz hat man mitunter den Eindruck, sie ist es, die bei ihren Eseln mitläuft. Natürlich ist sie jeden Tag da, füttert, mistet, kämmt und kümmert sich. Und doch wirkt es, als brauche es den Menschen nicht. Ein fast unwirklicher Frieden ist es, den die Szenerie ausstrahlt. Dass die Tiere das schaffen, in Pähl sowie in Drößling - Christine Bauer hat davor höchsten Respekt.

Einer von Christine Bauers alten Angus-Ochsen. (Foto: Arlet Ulfers)
© SZ vom 24.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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