Starnberg:Notabwurf über der Stadt

In der Nacht zum 7. September 1943 zerstören Bomben das Seerestaurant Undosa. Der Pilot wollte sein getroffenes Flugzeug retten und warf seine tödliche Fracht ab.

Sabine Bader

Im ganzen Land ist Krieg. Über München fallen Bomben. Aus Angst vor der tödlichen Fracht aus den Fliegern rennen auch die Starnberger in die Luftschutzkeller. Sie tun dies in jeder Bombennacht - mehr aus Vorsicht, als aus echter Notwendigkeit. Denn bislang ist die Kreisstadt am Starnberger See mit ihren 6000 Einwohnern von Angriffen verschont geblieben.

Undoas von dem Angriff Foto:Jägerhunber

Das Seerestaurant Undosa vor dem Zweiten Weltkrieg. Foto: Jägerhuber

Doch in der Nacht vom 6. auf den 7. September 1943 ändert sich das dramatisch. Es ist 23.30 Uhr. Urplötzlich zerreißt ein lauter Knall die nächtliche Stille, Augenzeugen berichten von einer ungeheuren Detonation, der weitere folgen. Und plötzlich, als hätte man an vielen Stellen der Stadt gleichzeitig Feuer gelegt, stehen Dachstühle in Flammen, zerbersten Fensterscheiben. Schnell wird klar: Das Seerestaurant "Undosa" ist von einer Phosphorbombe getroffen, ebenso die Gärtnerei Stückle in der Josef-Sigl-Straße. Am Almeidaberg hat eine Luftmine einen riesigen Krater ins Erdreich gerissen. Auf den Weiden an der Ludwigshöhe liegen tote Rinder - von Stabbomben zerfetzt.

Josef Jägerhuber ist zu diesem Zeitpunkt gerade mal 17 Jahre alt. Er befindet sich im Keller der Metzgerei Bader. Dort tut er Dienst bei einer der örtlichen Löschgruppen. Ein anderer Trupp ist eine halbe Stunde zuvor nach München abgerückt, um dort bei Löscharbeiten zu helfen. Selbst im Gewölbe spürt Jägerhuber die Detonationen und weiß in sekundenschnelle: Jetzt hat der Krieg Starnberg erreicht. Die telefonische Nachricht kurz darauf bestätigt dies. Jägerhuber muss los - zum Brandplatz am See. Als sich die Feuerwehrleute mit ihren Löschwagen durch die Straßen kämpfen, wird ihren das Ausmaß der Zerstörung bewusst: Umgestürzte Telegrafen- und Lichtmasten, überall Steine, Drähte, Schutt und durch die Druckwelle zerborstenes Glas. Der Löschtrupp kommt nur mühsam vorwärts - vor allem in der Possenhofener Straße. Bereits von weitem sehen Jägerhuber und die anderen Feuerwehrleute die Flammen aus dem Seerestaurant "Undosa" schlagen, das zum damaligen Zeitpunkt Hans Gruß gehört. Ein Inferno. Vor dem Tor des Undosa-Wirtsgartens an der Seepromenade finden die Helfer zuerst den Blindgänger einer Sprengbombe und werfen ihn in den See. Gemeinsam mit den Feuerwehrleuten aus Söcking, die inzwischen eingetroffen sind, macht sich der Trupp ans Löschen. Doch das gestaltet sich schwierig, erinnert sich Jägerhuber. Denn der ganze Dachstuhl des Restaurants steht die Flammen. Man versucht also ein Übergreifen des Feuers auf den großen Saal zu verhindert. Der allerdings ist fest verschlossen und bis unters Dach vollgestopft mit so genanntem kriegswichtigem Material: Zwirn, Stoff, Kleidung aus Heeresbeständen. Und so gilt es, nicht nur den Saal zu retten, sondern auch die darin gelagerten Textilien. Es gelingt. Aber weite Gebäudeteile und der historische Aussichtsturm werden ein Raub der Flammen. Bis in die späten Vormittagsstunden dauern die Löscharbeiten.

Auch der zweite Löschtrupp, der nachts zeitgleich vom Feuerwehrhaus ausgerückt ist, hat mit Problemen zu kämpfen. Per Hand müssen die Helfer den Schlauchwagen den steilen Berg hinauf zur brennenden Gärtnerei Stückle ziehen - das letzte Haus vor dem Wald in der Josef-Sigl-Straße. Die körperliche Anstrengung ist enorm, zumal die Starnberger Feuerwehr 1943 ausschließlich aus Jugendlichen, Frauen und Männern besteht, die älter als 60 Jahre sind. Der Trupp ist entkräftet, als er an der Gärtnerei ankommt, und legt dennoch sofort los. Die Einsatzkräfte tun ihr Bestes, doch die Phosphorbombe hat Gebäude und Hallen so sehr in Mitleidenschaft gezogen, dass an manchen stellen nur noch Mauerreste übrig bleiben.

Getötet und verletzt wird in dieser Bombennacht niemand in Starnberg. Und später stellt sich heraus: Das Bombardement der Stadt war gar kein gezielter Angriff, vielmehr eine Verkettung unglücklicher Umstände. Denn Flakgeschütze in München hatten den Flieger der Alliierten zuvor getroffen. Und so entscheidet der Pilot, die tödliche Fracht noch schnell über dem Starnberger See und der Stadt zu entladen. Ein Notabwurf also. Dann stürzt er mit seiner Maschine im Ammerseegebiet ab. Doch nur neun Monate später kommt auch der Tod aus der Luft: Am 13. Juni 1944 fliegt eine US-Maschine über die Stadt. Der Pilot hält den Löschtrupp, der gerade vor dem Starnberger Feuerwehrhaus steht, offenbar wegen seiner Uniformen für ein militärisches Ziel und wirft ein Splitterbombe ab. Sieben Feuerwehrleute sterben bei dem Angriff.

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