Starnberg:Normalität in weiter Ferne

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Asylbewerber können sich keine Fahrkarten leisten.

Von Sylvia Böhm-Haimerl

- Rahim (Namen von der Redaktion geändert) hat Angst. Todesangst. Er bangt um seine zwei Söhne und seine hochschwangere Frau, er sorgt sich, dass seinen Verwandten zuhause in Aserbaidschan etwas zustoßen könnte. Der 37-Jährige hat in seiner Heimat in einem Basar gearbeitet und ein ganz normales Leben geführt. Bis zu dem Tag, als er zur Hochzeit eines Verwandten fuhr, der in der Nähe der armenischen Grenze lebt. In dieser politisch sehr unsicheren Region ist Rahim zwischen die Fronten der Geheimdienste geraten. Zuerst wurde er von armenischen Soldaten der Spionage beschuldigt, verhaftet und geschlagen. Als er endlich wieder nach Hause konnte, wurde er vom eigenen Staat verdächtigt, ein Spion zu sein. Er wurde vom Geheimdienst KGB verfolgt, erneut verhaftet, eingesperrt und geschlagen. Doch viel schlimmer als sein eigenes Schicksal war für ihn, dass fremde Männer in seine Wohnung eindrangen und brutal auf seine Frau Melek einschlugen - vor den Augen der Kinder, die sich voller Panik unters Bett flüchteten. Rahim und seiner Familie gelang die Flucht nach Deutschland.

Doch vor ihrer Angst konnten sie nicht fliehen, sie ist seither ihr steter Begleiter. "Es passiert oft, dass ich in der Nacht aufwache und zu schreien beginne", sagt Rahim. Auch seine 29-jährige Ehefrau weint viel. "Zum Glück leben wir jetzt in einem demokratischen Land. In meiner Heimat wäre die Gefahr zu groß", sagt Rahim und lädt zum Tee in die blitzsaubere Unterkunft in Petersbrunn ein. Rahim und seine Familie sind Asylbewerber. Sie sind froh, dass sie hier sein dürfen. Der ältere Sohn geht in die Schule, der jüngere in den Kindergarten. Sie fühlen sich wohl in ihrer Wohnung. Ein Problem gibt es allerdings: Petersbrunn ist weit entfernt von jeder Infrastruktur. Und eine Fahrkarte für die öffentlichen Verkehrsmittel kann sich die Familie nicht leisten. Den zuständigen Behörden sind die Hände gebunden. Laut den Vorgaben wird zwar der Schulbus für den Sechsjährigen bezahlt, weil in Deutschland Schulpflicht besteht. Eine Kindergartenpflicht indes gibt es nicht, also werden die Fahrtkosten für den Vierjährigen und eine Begleitperson nicht übernommen. Für Melek ist es aber wichtig, dass der Kleine den Kindergarten besuchen kann. Wie sonst soll er Deutsch lernen, um sich in seiner neuen Heimat zurechtzufinden? "Wir würden gerne wie normale Menschen behandelt werden und uns in die Gesellschaft integrieren", sagt Melek. Ohne Deutschkenntnisse sei das unmöglich.

Bislang konnte Rahim alle Besorgungen mit dem Fahrrad erledigen. Doch im Winter ist das nicht mehr zu schaffen, auch das Einkaufen nicht. Die Preise im normalen Supermarkt sind für Asylbewerber unerschwinglich. Und im Discounter in erreichbarer Nähe werden die staatlichen Lebensmittelgutscheine nicht angenommen. Um preisbewusst einkaufen zu können, muss die Familie zu einem Discounter im Süden der Kreisstadt. Mit einer Familien-Jahreskarte für den öffentlichen Nahverkehr wäre Rahim und seiner Familie sehr geholfen.

Für rund 500 Euro könnte sie durch Spenden aus dem SZ-Adventskalender finanziert werden. Übrigens - Melek hat ihr Baby inzwischen zur Welt gebracht. Es ist ein Mädchen. Auch hier könnten Spenden helfen, um die staatliche Hilfe für die Grundausstattung des Babys etwas aufzustocken.

© SZ vom 11.12.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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