Starnberg:Mit ihrer Kraft am Ende

37-jährige Frau zieht ohne Hilfe ihr schwerbehindertes Kind auf.

Blanche Mamer

Starnberg- Drei Monate lag der winzig kleine Michael im Brutkasten. Er ist viel zu früh zur Welt gekommen, wog gerade mal 480 Gramm. Sieben Monate musste er in der Klinik bleiben, wurde mehrmals operiert, 15 Zentimeter Darm mussten entfernt werden. Das Kind wurde so lange über Sonden ernährt, dass es später nicht saugen konnte. "Das war so schlimm, er hat immer geschrien, denn er hatte Hunger, und es hat lange gebraucht, bis er lernte, aus der Flasche zu trinken. Ich habe auch viel geweint, ich war so traurig. Ich habe gesehen, wie es ihm schlecht ging. Er hatte überall Schorf, so viele Nadeln, so viele Einstichstellen, überall, am Kopf, an den Füßen, am Bauch", erzählt seine Mutter Alexandra B. (37). Sie war ganz allein. Keine Oma, Tante oder Schwester, die sie hätte unterstützen können. Sechs Monate lang kam die Hebamme regelmäßig zur Nachsorge, übte mit ihr, mit dem Würmchen von Kind umzugehen. Ihr Mann, ein gebürtiger Italiener, verdiente den Lebensunterhalt als Lkw-Fahrer, bei weitem nicht genug, um Extras für das schwerbehinderte kranke Kind oder gar eine Hilfe für seine überforderte und von Depressionen geplagte Frau zu finanzieren.

Heute ist Michael sechs Jahre alt, auf einem Auge blind, auf dem anderen Auge hat er eine Sehkraft von 60 Prozent. Er ist inkontinent, muss also Windeln tragen. Er kann laufen, aber "schief", sagt seine Mutter. Das linke Bein zieht er nach, auch die linke Hand kann er nicht gut koordinieren. Er hat Asthma und eine Lactoseintoleranz. Dass er laufen kann, verdankt er der steten Pflege seiner Mutter. "Und Gott hat mir geholfen, dass ich das schaffe", sagt die gläubige Katholikin. Erst vor einem halben Jahr war sie das erste Mal in einer Mutter-Kind-Kur. Petra Seidl von der offenen Behindertenarbeit der Caritas in Starnberg hatte sie bei dem Antrag unterstützt.

"Das war eine spezielle Klinik für frühgeborene Kinder. Da gab es psychologische Betreuung, für mich war das das erste Mal. Ich habe wieder viel geweint, doch die drei Wochen haben geholfen, meine Batterien wieder aufzuladen", erzählt Alexandra B. Doch sie ist jetzt schon wieder mit ihrer Kraft am Ende. Was auch Petra Seidl findet.

Denn der Bub ist wieder krank, er kann nicht gut atmen. "Er hatte eine Operation, ein Nasenloch ist zu. Gegen das Asthma bekommt er Cortison", berichtet seine Mutter. Große Probleme bereitet die Lactose-Intoleranz. Lactosefreie Produkte sind teurer. Ein Antrag auf Zuschuss wurde von der Krankenkasse abgelehnt, erzählt sie. Die Preise für Milch und Käse hat sie alle im Kopf: Milch kostet 1. 40 Euro, 200 Gramm Käse 2.50 Euro, zählt sie auf. Michael verträgt nur die Lebensmittel von einer bestimmten Firma, und die reißen jedesmal ein Loch in die Haushaltskasse. "Ich habe es mit Reismilch versucht und mit Sojamilch, aber die verträgt er nicht. Da bekam er immer Durchfall", sagt Alexandra B. Der Bub wird in der heilpädagogischen Tagesstätte der Franziskusschule betreut, bekommt Physiotherapie und Logopädie. In der Schule ist er noch nicht. "Das wird noch sehr schwer", meint seine Mutter. Sie hofft, noch einmal eine Kur machen zu können. "Die Krankenkasse sagt, erst in vier Jahren, ich weiß aber nicht, ob ich genug Kraft habe", sagt Alexandra B. Sie würde das Kinderzimmer auch gern mit neuen Möbeln einrichten. Die Familie würde sich deshalb über eine Spende freuen, sagt Seidl von der Caritas.

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