Starnberg:Land der Leidenschaft

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Die Kulturszene im Fünfseenland ist deshalb so lebendig, weil hinter den Reihen und Festivals künstlerische Leiter mit Passion stehen. Das gilt fürs Fünfseen-Filmfestival genauso wie für Oper in Starnberg oder Musikbühnen

Von Gerhard Summer, Starnberg

Kann schon sein, dass die Akustik der Schlossberghalle schwierig ist und das Starnberger Publikum heikel. Aber es gibt Abende, da denkt man weder an das eine noch an das andere. Zum Beispiel bei der Oper "Bajazzo". Dem Dirigenten Andreas Szcygiol und dem Regisseur Hugo Wieg gelingt Mitte Juni ein Coup: ein Bühnenfest mit einem herausragenden Jason Papowitz in der Doppelrolle als Canio und Clown, eine teilweise mit Laien besetzte, komplexe und sehr lebendige Inszenierung, die nichts Bemühtes oder gar Provinzielles hat.

Manfred Frei, der Erfinder des Münchner Klaviersommers, legt Ende Juni nach: Klaus Doldingers Passport übernimmt den Auftakt der neuen Reihe "All That Jazz @ Starnberg". Na ja, denkt man vorher, Doldinger, is' doch ein alter Hut. Und: Jazz ausgerechnet in dieser Halle? So kann man sich täuschen. Der Altmeister liefert ein mitreißendes Konzert ab, ein Paradebeispiel dafür, wie spannend Jazz sein kann. Ist die Akustik schlecht? Ach was. Sind die Zuhörer heikel? Von wegen.

Dass Frei und Szcygiol reüssieren, hat einen einfachen Grund: Beide sind Besessene. Männer mit Passion, Männer mit Vision. Im positiven Sinne Verrückte. Menschen eben, die für die bildende Kunst, das Theater, das Kabarett oder eben die Oper und den Jazz leben. Und denen nichts wichtiger ist, als ihre Leidenschaft mit anderen zu teilen oder sie beim Publikum zu entfachen. Genau so funktioniert Kultur im Fünfseenland. Ob es nun um das große Fünfseen-Filmfestival geht, das 2015 an die 19 000 Zuschauer anzieht und damit einen neuen Besucherrekord hinlegt, um die Tutzinger Brahmstage, die Ammerseerenade, "Jazz am See" mit seinem Staraufgebot, die Inninger Musikkneipe Spectacel, die Gitarristen wie Nick Woodland auf die Bühne holt, oder das so kleine wie feine Sommerfestival in der Gautinger Remise - in aller Regel steht für jedes der kühnen Unternehmen ein einziger Name, auch wenn überall Teams am Werke sind. Im Fall des Filmfestivals heißt der Mann: Matthias Helwig. Ohne ihn wäre das sommerliche Fest, diesmal mit dem Ehrengast Michael Verhoeven, nicht vorstellbar. Ohne den Betreiber der Breitwand-Kinos, der Ende 2016 sein Herrschinger Lichtspielhaus verlieren, dafür aber eine neue Dependance in Gauting eröffnen wird, wäre es auch nicht zur ersten Gilchinger Kulturwoche im November gekommen. Das Besondere daran: Hellwig gelingt es, die 18 Kulturvereine des Orts an einen Tisch zu bekommen.

Was das Buchheim Museum betrifft, ist es der neue Direktor Daniel J. Schreiber, der dem Konzept des Hauses Weite gibt und damit Erfolg hat. Bislang waren in dem schiffsartigen Haus am See in erster Linie Schätze des sammelwütigen Gründers Lothar-Günther Buchheim zu sehen. Nun kommen Leihgaben aus der Sammlung Henri Nannen dazu. Und im Juli stellt Direktor Daniel J. Schreiber einem der Hausgötter, Ernst Ludwig Kirchner, erstmals einen zeitgenössischen Künstler an die Seite: Bernd Zimmer aus Polling.

Das Gautinger Bosco, das im September sein zehntes Jubiläum feiert, hat einen Vorteil gegenüber den meisten anderen Kulturhäusern: Es kann gleich drei besessene Macher anbieten: Hans-Georg Krause, Klaus Köhler und Werner Gruban. Was dazu führt, dass Gauting ganz vorne mitspielt. Die Literaturabende im Bosco sind schön gegen den Strich gebürstet, die Theaterinszenierungen ausgesucht, die Jazzabende und die Klassikkonzerte so hochrangig, dass man sich die Fahrt nach München sparen kann. Nur drei Beispiele: Im Mai, Juni und September geben das Quatuor Ebène, der 23 Jahre alte Pianist Kit Armstrong und das Quatuor Hermès Konzerte zum Niederknien.

Die Veranstalterin Elisabeth Carr und der Schriftsteller Gerd Holzheimer gehen mehr ihrem Faible fürs Verspielte und leicht Verdrehte nach. Auch dabei kommt Hochrangiges heraus: der Auftakt des Literarischen Herbstes Mitte September im Starnberger Hotel Bayerischer Hof - ein herrlich versponnenes Fest. 2015 muss die Kulturszene einen herben Verlust hinnehmen: Anfang Mai gibt das Kloster Andechs nach 18 Jahren das Ende der Orff-Festspiele nach dieser Spielzeit bekannt. Der Grund: "schwerwiegende und nicht zu überbrückende Differenzen" mit der Carl-Orff-Stiftung. Tatsächlich scheint es mehr um den Streit zwischen zwei Männern mit unterschiedlich großem Ego zu gehen: zwischen Festspielleiter Marcus Everding und dem Stiftungsvorsitzenden Wilfried Hiller. Ein unschönes Ende.

© SZ vom 31.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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