Starnberg:Jeder Tag ein Kampf

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Für Vera D. ist jeder Schritt beschwerlich. Sie hat seit mehr als 20 Jahren Multiple Sklerose. Doch Aufgeben kommt für sie nicht in Frage. Ein Kletterkurs für Patienten gibt ihr jetzt neue Hoffnung.

Sylvia Böhm-Haimerl

- Die Stufe scheint für die junge Frau auf Krücken unüberwindlich zu sein. Vera D. hat Multiple Sklerose. Doch sie ist stark und ehrgeizig. "Ich kann das schon", sagt sie. Man sieht, wie sie sich auf diesen einzigen Schritt konzentriert und ihren Fuß unter größter Willensanstrengung zentimeterweise anhebt. Dann endlich hat sie die Hürde überwunden und lächelt erleichtert. "Ja", meint sie entschuldigend, "manchmal bin ich richtig starrköpfig". Sie könne die Leute verstehen, die irritiert reagieren, weil sie sich nicht helfen lassen will. Doch man merkt Vera D. an, dass Aufgeben für sie nicht in Frage kommt, es der Anfang vom Ende wäre. Sie möchte auf keinen Fall, dass es bei ihr so weit kommt, wie bei ihrer Schwester, die ebenfalls an MS erkrankt ist und zum Pflegefall wurde. Also kämpft Vera D., Tag für Tag. Die Tutzingerin lebt seit 21 Jahren mit der Diagnose MS. "Ich hatte immer Angst, dass ich im Rollstuhl lande", sagt sie.

Um ihren Körper möglichst lange fit zu halten, hatte sie stets Sport betrieben - Karate, Triathlon, Krafttraining und Radfahren, bis zum Jahr 2000. Dann kamen mehrere Schicksalsschläge: Der Tod eines nahen Angehörigen, dann ihre Scheidung. "Von da an ging es bergab", erzählt sie. Vera D. erkrankte an Krebs. Ein 4,5 Kilogramm schwerer Tumor musste entfernt werden. Das hat ihren Körper so geschwächt, dass sie keine Kraft mehr hatte, um gegen ihre MS-Erkrankung anzukämpfen. Sie wurde arbeitsunfähig und ist jetzt Frührentnerin. Heute kann sie sich nur noch mit Hilfsmitteln fortbewegen.

An guten Tagen läuft sie auf Krücken oder geht mit dem Rollator. Doch manchmal muss sie den Rollstuhl nehmen. Jetzt nimmt die Angst zu, dass sie sich womöglich nicht mehr alleine fortbewegen kann, weil ihr die Kraft in den Armen fehlt. Dennoch ist sie guter Dinge, wenn sie wenigstens das Haus verlassen kann. An schlechten Tagen funktioniert nicht mal das. Dann sind alle Hürden und Barrieren tatsächlich unüberwindlich. "Dann muss ich zuhause bleiben", sagt sie. "Und alleine zuhause zu sein, ist eine Qual." Wie gerne würde sie manchmal in ein Geschäft gehen oder in ein Café. Doch dann sieht sie eine oder zwei Stufen an der Eingangstüre - und sie weiß, dass es viel zu mühsam sein wird hineinzukommen.

Jetzt hat Vera D. das Klettern für sich entdeckt. Ein Privatlehrer gibt an der Kletterwand Trainingsstunden für MS-Patienten. Die Teilnehmer werden dabei speziell abgesichert, damit nichts passieren kann, wenn die Muskeln wieder einmal nicht so wollen wie man selbst. Nach einer Probestunde war sie begeistert und bekam wieder Mut. "Das macht Spaß und tut gut", schwärmt sie. Zunächst hatte Vera D. Bedenken, ob ihr dieses Aufbautraining, das von keiner Krankenkasse bezahlt wird, wieder Kraft gibt.

Doch schon nach einer Stunde konnte sie wieder wesentlich besser laufen. "Durch die Krankheit habe ich meine Mitte verloren", erklärt sie. Und beim Klettern werde speziell die Körpermitte trainiert. "Und die Kraft in den Armen wird gigantisch." Doch eine Trainingsstunde kostet 50 Euro. Das ist unerschwinglich für Vera D., die von ihrer Frührente in Höhe von 700 Euro leben muss. Die Spenden aus dem SZ-Adventskalender könnten ihr helfen, ihre Mitte wieder zu finden.

© SZ vom 21.12.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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