Starnberg:In einer anderen Welt

Starnberg, Gemischtwaren Johann Biller

Elisabeth Carr (links) und Judith Huber feiern den Herbst literarisch im Starnberger Gemischtwaren Biller.

(Foto: Georgine Treybal)

Lesung im sonst geschlossenen Kaufladen Biller

Von Patrizia Steipe, Starnberg

Die grünen Fensterläden, die seit 28 Jahren das Innere des Geschäfts vor den Blicken der Passanten schützten, standen offen. In den Schaufenstern lagen grellbunte Strickpullover, Stofftaschentücher-Sets und andere Textilwaren, über der Türe wies das repräsentative Schild mit dem Aufdruck "Johann Biller gegr. 1804" auf die Tradition des Kaufladens hin. Drei Schritte brauchten die Besucher des Literarischen Herbstes an diesem Nachmittag, um von der autoumtosten Hauptstraße in Starnberg in eine andere Welt einzutreten. Unter dem Motto "Mein Ein und Alles - der gute alte Gemischtwarenladen" hatten Elisabeth Carr und Judith Huber zu einem zauberhaft-verspielten Nachmittag eingeladen.

Carr, die ein Händchen für ausgefallene Spielorte hat und ihre Besucher bereits in Prunkvillen, Katastrophenschutzräume oder in eine psychiatrische Klinik geführt hatte, hatte sich dieses Mal selbst übertroffen. Wer hätte geahnt, dass sich hinter den Holzläden noch eine originalgetreue Biedermeier-Ladeneinrichtung verbirgt: eine mit Intarsien verzierte Holztheke mit den dazu passenden Regalen sowie Schubfächern mit Beschriftungen wie "Weihrauch", "Farinzucker", "ganzer Pfeffer", aber auch "Nachtlichter" und "Wäscheblau"?

Während Carr und Huber über die Ladentheke Rezepte, Gedichte und Geschichten rund um Mode und Handel vortrugen, konnten sich die um die Ladentheke platzierten "Kunden" kaum sattsehen an den Relikten vergangener Kaufmannstage. Die bunten Stoffballen hinter den Glasfenstern des Regals, die Strickwolle, aber auch Kleidung im 70er Jahre-Schick sowie Haushaltsartikel in Originalverpackungen aus den 50er Jahren und das große Weckglas mit den Essiggurken.

Bei ihrem Kaufladenspiel schlüpften Carr und Huber in die Rollen von Verkäuferin "Kathi" und Kundin "Lissi" und kramten passend zu der Definition von Kurzwaren allerlei Kurioses hervor, suchten Zutaten für ein Rezept zusammen oder umrahmten in eine Küchenschürze gewandet die Strophe der "züchtigen Hausfrau" aus Friedrich Schillers "Glocke".

Früher komplettierte der Kaufladen "Biller" das Starnberger Geschäfteangebot. In der Nachbarschaft gab es einen Bäcker, Fleischer und Schlachter, einen Fischladen, ein Milchgeschäft, Uhrmacher, Installateur, die Schule, Kirche, Rathaus und die Wirtschaft. Elisabeth Carr konnte sich noch gut an Ladenbesitzerin "Trudi Biller" erinnern, die eigentlich Gertrud Weiß hieß, Enkelin der Gründer Johann und Kreszentia Biller. "Hier gab es einfach alles", resümierte Carr. Zum Beispiel "Galanteriewaren". Strapsgürtel, Seidenstrümpfe und Unterwäsche bildeten einen Kontrast zu den praktischen Haushaltswaren und Lebensmitteln. Bei der Lesung dienten die Requisiten Huber dazu sich in die Modeschöpferin Coco Chanel zu verwandeln und aus deren Memoiren zu rezitieren. Mode und Lebensmittel - früher im Gemischtwarenladen gang und gäbe - diese Kombination sei heute übrigens wieder "hip", versicherte Carr.

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