Starnberg:Heimkehr nach 69 Jahren

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Nur der Akribie von Markus Mooser ist es zu verdanken, dass die sterblichen Überreste von zwei Soldaten gefunden werden. Die Amerikaner wurden am 21. Juli 1944 über Landstetten abgeschossen und galten seitdem als vermisst.

Christiane Bracht

Markus Mooser aus Starnberg hat Reste eines 1944 abgeschossenen US-Bombers gefunden - und damit das Schicksal zweier vermißter Besatzungsmitglieder aufgeklärt. (Foto: STA Franz X. Fuchs)

Charles M. und Jerome K. sind heimgekehrt. Endlich. 69 Jahre lang galten die beiden Amerikaner als vermisst. Für ihre Familien war es ein harter Schlag, eine schwer zu akzeptierende Tatsache. Charles war 22 Jahre alt, als er in den Krieg nach Deutschland zog, Jerome nur 19. Sie kehrten nie zurück. Aus Protokollen der US Army geht hervor, dass sie zuletzt bei einem Angriff auf den Sonderflughafen Oberpfaffenhofen mitflogen. Das war am 21. Juli 1944. Danach verlor sich jede Spur. Niemand wusste, wo man nach ihnen suchen könnte - außer vielleicht die deutschen Behörden. Aber die kümmerten sich nicht weiter darum.

Es ist ein trauriges Kapitel unserer Geschichte. Eine Vergangenheit, über die niemand gern spricht und an die keiner erinnert werden will - besonders nicht diejenigen, die sie erlebt haben. Das musste auch Markus Mooser erfahren. Der Starnberger ließ aber dennoch nicht locker. Im Frühjahr 2007 fand er zusammen mit einem Freund im Wald bei Landstetten völlig deformierte, verbrannte kleine Aluminiumteile - die Überreste eines Flugzeugs. "Auf dem Boden konnte man noch die Silhouette der Maschine erkennen", erklärt er. Das abgestürzte Flugzeug ließ ihn nicht mehr los. "Ich hatte immer das Gefühl, da ist noch was - da sind vielleicht Vermisste begraben", sagt er. Der 48-Jährige begann zu graben, etwa eineinhalb Meter tief. Er förderte einen völlig verbogenen Maschinengewehrgurt zutage, Ventile, Teile einer durchlöcherten Sauerstoffmaske und Geschosse, im großen Trichter vom Motor auch ein Propellergetriebe und schließlich sogar Knochensplitter. Für ihn das klare Zeichen dafür, dass er recht behalten sollte mit seiner Vermutung. Die Fundstücke hat Mooser fein säuberlich verpackt. Er bewahrt sie in einer kleinen Kiste in seinem Keller auf und wer sie sehen will, dem zeigt er sie gerne.

Monatelang recherchierte der Starnberger im Internet, versuchte anhand von einer Seriennummer Einzelheiten ausfindig zu machen - vergebens; loggte sich in Foren ein, in denen sich Flugzeughistoriker über ihre Erkenntnisse und Funde austauschen; recherchierte beim Bomberverband. "Ein Jahr lang war ich auf der falschen Fährte", sagt Mooser. Er dachte zunächst, das Flugzeug wäre ein B17-Bomber gewesen. Ein alter Bauer, der in der Nähe des Landstettener Wäldchens lebte, brachte ihn dann auf richtige Spur. Der Mann hatte 1944 den Absturz beobachtet. Damals war er noch ein Bub, etwa acht Jahre alt. Er konnte sich noch genau an das Datum des Unglücks erinnern. Es war der 21. Juli. "Ein Motor der Maschine hat gebrannt. Und ich habe gesehen, dass zwei abgesprungen sind: einer trieb Richtung Hadorf, der andere nach Perchting. Ein Fallschirm hat sich nicht geöffnet", sagte der Augenzeuge, als Mooser ihn befragte. Genug Anhaltspunkte für den Starnberger, um im Internet auf den Aircrew report der US-Army zu stoßen, der die Ereignisse des Tages schilderte. Eine neunköpfige Besatzung war seinerzeit an Bord der B-24. Sie hatte Bomben auf den Sonderflughafen geworfen, auf dem Rückflug wurde sie angegriffen und von den Deutschen abgeschossen, von einer Messerschmitt Bf 109 (auch Me 109), wie sich später herausstellte. Drei amerikanische Soldaten starben, einer in Hadorf, zwei wurden nie gefunden: Charles M. und Jerome K. Hinter ihren Namen stand der Vermerk "MIA", was bedeutet: "missing in action".

Mooser besuchte den alten Bauern erneut, um mehr zu erfahren. Er war der einzige noch lebende Augenzeuge. "Wir kamen erst etliche Tage später zur Unglücksstelle. Vorher haben wir uns nicht getraut," erzählte ihm der alte Mann. Aus einem sicheren Versteck beobachteten die Buben das Geschehen. Denn es waren schon andere da. Die Wehrmacht und "jugoslawische Kriegsgefangene. Diese stapelten die großen Wrackteile auf einen Haufen. Lastwagen transportierten sie später ab." Der Rest, darunter auch Leichenteile, wurde einfach vergraben. "Erschreckend", findet Mooser allein schon die Vorstellung. Der Bauer starb kurze Zeit nach diesem Gespräch. Mooser forschte weiter, machte die Familien der getöteten Soldaten ausfindig und sogar den Piloten der Messerschmitt Bf 109.

Was aber bringt einen 48-jährigen Familienvater dazu, jede freie Minute über Jahre hinweg für die Suche nach Vermissten aus dem Zweiten Weltkrieg zu verwenden? "Mein Vater und mein Onkel waren auch im Krieg. Ich bin die Folgegeneration", sagt Mooser. "Es hat mich immer sehr interessiert, auch wenn mein Vater nie viel erzählt hat." In den 70er Jahren, als Teenager, sammelte der Starnberger schon Metallschrott von alten Flakstellungen, entdeckte sogar Stahlhelme. Und dann sagt er: "Der Bruder meines Vaters ist am 12. September 1944 in Frankreich gefallen. Auch er galt als vermisst. Und ich wollte immer wissen, was er für ein Mensch war." Parallel zu seinen Nachforschungen über Charles und Jerome beginnt der Starnberger auch in Frankreich zu forschen, nimmt Kontakt auf zu einem, der das gleiche macht wie er, sucht nach seinem Onkel.

Und was sagen Frau und Kinder dazu? Anfangs haben sie es nicht verstanden, gibt Mooser zu. "Sie fanden meine Akribie albern." Doch als er die Knochensplitter fand und die Namen der Toten ausfindig gemacht hatte, wandelte sich das Blatt. "Es geht doch nicht, dass man die Soldaten im Wald verscharrt und liegen lässt", sagt er. "Das wird den Personen nicht gerecht. Da stehen wir als Folgegeneration in der Verantwortung." Seine Familie stimmte ihm zu und unterstützte ihn fortan.

Und so nahm Mooser im Herbst 2008 den Telefonhörer in die Hand und rief eine Schwester von Jerome an. "Are you kidding? Or do you want money?" (Wollen Sie mich hochnehmen? Oder wollen Sie Geld?), fragte sie ungläubig. "Aber sie war erfreut", sagte Mooser. Der Sohn von Charles, der seinen Vater nie kennengelernt hatte, reagierte viel heftiger: "Well, my father lost his life for your liberty (Mein Vater verlor sein Leben für Ihre Freiheit)", sagte er dem Fremden aus Deutschland. Mooser blieb nur ein "Sorry" (Entschuldigung). "In dem Moment kam der ganze Frust und die Wut hoch, der Schmerz seines Lebens. Ich habe das verstanden", sagt der 48-Jährige. Er schickte den Angehörigen Briefe mit Bildern vom Fundort, kleine Flugzeugteile und erzählte ihnen, wer er ist und was er herausgefunden hatte. Die Knochen erwähnte er erst später. "Ich habe es den Familien überlassen, was sie damit machen wollen", sagt der Starnberger. Diese schalteten die Organisation JPAC (Joint Prisioner of war, missing in action accounting command) ein, eine Arbeitsgruppe des amerikanischen Verteidigungsministeriums, die sich zur Aufgabe gemacht hat, nach Kriegsgefangenen und vermissten Soldaten zu suchen beziehungsweise diese zu identifizieren. Ihr Motto lautet: "Until they are home" (Bis sie zu Hause sind). Vom Zweiten Weltkrieg allein gibt es noch 74.000 Vermisste. In den vergangenen zehn Jahren konnte JPAC gerade mal 30 in Europa ausfindig machen. Von den Knochen, die Mooser in Landstetten fand, ließ JPAC 2009 eine DNA-Analyse machen. Eine langwierige Angelegenheit.

Erst im Juni 2012 kam ein JPAC-Team aus den USA, fällte Bäume, baute an der Absturzstelle Holzgestelle mit Sieben auf und machte sich an die Arbeit. Eimer für Eimer wurde untersucht, jeder Stein umgedreht - 45 Tage lang. Die Amerikaner bewegten insgesamt etwa 1000 Quadratmeter Erde. Am Ende hatten sie allein drei Eimer voll Geschosse gefunden, unter anderem auch das, was wohl die B24 getroffen hatte. Zudem fanden sie die Erkennungsmarke von Charles, Zähne, ein völlig verbogenes Silberarmband auf dem "Dixie" stand, der Name von Charles Frau, Münzen und die Armbanduhr von Jerome. Sie stand auf 10.40 Uhr - die Zeit des Absturzes.

Charles wurde am 8. Juni beerdigt. Sohn und Frau hatten dadurch endlich die Möglichkeit loszulassen. Jeromes Begräbnis war am 21. Juli in Mannington, West Virginia. Die Schwestern luden Mooser dazu ein. Der Starnberger hatte sie zwar noch nie zuvor gesehen, aber "es war wie eine Familie für mich. Als würden wir uns schon lange kennen", sagt er. "Jerome und Charles sind mir ans Herz gewachsen." Und so wollte er sehen, wo Jerome gelebt hat. "Als ich den Boden an seinem Haus berührte, hatte ich ein erleichterndes Gefühl, als ob Jerome nun angekommen ist." Den ganzen Tag waren im gesamten Bundesstaat die Flaggen auf Halbmast, an den Straßenrändern standen Frauen, Männer, Kinder und alte Leute. Das ganze Städtchen war auf den Beinen, schwenkte Fahnen und erwies Jerome die letzte Ehre. "Da habe ich gewusst, wie die Amerikaner zusammenstehen als ein Volk", sagt Mooser noch immer beeindruckt. "Und der Familie hat es viel bedeutet, dass Jerome heimgekehrt ist." Ihm auch. Der Gouverneur von West Virginia überreichte ihm persönlich eine Proklamation mit goldenem Siegel als Anerkennung für seinen Einsatz um die Vermissten. Eine besondere Ehre.

Der 48-Jährige ist stolz darauf. Allerdings beschäftigt ihn mehr, dass die Deutschen nicht nach ihren Toten und Vermissten suchen. "Das interessiert hier niemanden. Dabei sind auch die deutschen Soldaten zum großen Teil von der Wehrmacht eingezogen worden. Es sind persönliche Schicksale", bedauert er. Das Grab seines Onkels hat Mooser inzwischen auf eigene Faust ausfindig gemacht. "Es ist das Grab eines unbekannten Soldaten", da ist er sich sicher. Aber was der Starnberger noch schlimmer findet: "Die deutschen Behörden haben alles akribisch aufgezeichnet und sich nicht darum gekümmert, dass man die Gefallenen nach Hause bringt, sondern dafür gesorgt, dass sie hier verscharrt bleiben und vieles im Archiv gehalten", sagt er und schämt sich für sein Land. "Wir sind es den Amerikanern schuldig, bei der Vermisstensuche zu helfen."

© SZ vom 06.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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