Experiment in Starnberg:Handgemachte Oper

Der Dirigent und frühere Familientherapeut Andreas Sczygiol aus Herrsching bringt im Juni Leoncavallos "Bajazzo" auf die Bühne der Schlossberghalle. Bei den Vorstellungen arbeiten Laien und Profis auf Augenhöhe miteinander.

Von Gerhard Summer, Starnberg

Seefeld Schloss, Sczygiol

Dirigent Andreas Sczygiol liebt nicht nur die Herausforderung, er braucht sie sogar.

(Foto: Georgine Treybal)

Mit sechs Jahren war Andreas Sczygiol klar, dass er nur eines werden könnte: weder Feuerwehrmann noch Papst, sondern einzig und allein Musiker. Er fing mit klassischer Gitarre an. Seine Mutter hatte darauf früher Volksmusik gespielt, ihr Instrument hing in seinem Kinderzimmer, trotzdem fanden sich im ganzen Haus nur zwei klassische Platten, "so wie man 'Faust' im Regal stehen hat, weil's gut aussieht". Mit zwölf fand er, dass die Gitarre zu begrenzt ist. Er verfiel "in völliger Ahnungslosigkeit" auf die Idee, eine Symphonie zu schreiben. Als Dirigent des Werks, das nie fertig wurde, kam nur er selbst in Frage, der Komponist. Sczygiol neigte schon damals zum Pragmatismus.

Mit 13 nahm er Klavierunterricht. Mit 16 besuchte er erste Meisterkurse von Dirigenten und ging als Jungstudent an die Musikhochschule Hamburg. Als er 19 war, leitete der gebürtige Tölzer, der in Geretsried und München aufgewachsen ist und inzwischen in Herrsching lebt, erstmals einen Chor, mit 21 hatte er sein erstes eigenes Orchester. Und jetzt, im Alter von 35 Jahren, macht der frühere Familientherapeut den "Bajazzo" in Starnberg.

Schwierige Kunstform

Oper in der Kleinstadt, die aufwendigste und schwierigste aller Kunstformen, kann das gut gehen? Noch dazu in der Schlossberghalle, die für alles mögliche geeignet ist und für nichts so richtig ideal? Aber natürlich. 2014 hatte der Mann, der die große Herausforderung sucht und als Gastdirigent bereits mit der Neuen Philharmonie München oder der Mährischen Philharmonie Olomouc arbeitete, das Experiment gestartet. Beide Vorstellungen von Henry Purcells "Dido and Aeneas" im Premierenjahr waren ausverkauft.

Was sicherlich damit zu tun hat, dass Sczygiol einerseits auf den unwiderstehlichen Charme des Laientheaters und auf handgemachte Inszenierungen baut, andererseits die Schlüsselpositionen mit Profis besetzt. Damals hatten die Mitglieder seines 45-köpfigen Vokalensembles Fünfseenland zum Beispiel das Bühnenbild in einer Garage zusammengeschraubt. Heuer übernimmt das Hugo Wieg, der Hausregisseur der Opernfestspiele Bad Hersfeld, in seiner Scheune, allerdings ganz fachmännisch. Auch bei Ruggero Leoncavallos "Bajazzo" werden "Leute auf der Bühne stehen, die in ihrem Leben noch nie in der Oper waren", sagt Sczygiol.

Die um Ickinger und Münchner Sänger verstärkten Choristen suchen sich ihre Kostüme immer noch aus dem Kleiderschrank oder bei Bekannten zusammen und kümmern sich ums Catering in der Pause. Als Tänzer treten Eleven des Ballettzentrums Starnberg auf. Die Solisten sind "handverlesene Profis". Und die Prager Philharmoniker, das Orchester, treten in der besten, nicht in der billigsten Besetzung an. Denn der Intendant der Starnberger Oper legt Wert darauf, "dass jeder eine Wertschätzung seiner Arbeit bekommt".

Freie Opernproduktion - das hat seinen besonderen Reiz, weil es so überhaupt nicht in diese vom Geld regierten Welt passt. "Oper rechnet sich nie, nirgends auf der Welt", sagt Sczygiol. Er findet, das sei "eine wunderbare Einladung darüber nachzudenken, ob es Dinge gibt, die jenseits von Rentabilität Wert haben". Die zwei Vorstellungen Mitte Juni kosten fast 60 000 Euro, so viel Geld aufzubringen, ist nur durch Sponsoren, Spenden und öffentliche Förderung möglich.

Partituren werden auswendig gelernt

Was die Werksauswahl angeht, ist Steigerung kaum noch möglich: Der veristische "Bajazzo" gilt als eines der heikelsten Werke überhaupt, vom Konstrukt her eher unlogisch, weil sich Leoncavallo nicht mit Überlegungen zu Symmetrie und Aufbau aufgehalten hat. "Man wird verrückt beim Lernen", sagt Sczygiol, der Partituren grundsätzlich auswendig lernt. Hochproblematisch ist auch die Balance zwischen Sängern und großem Orchester, weil die Musiker praktisch immer zu laut sind.

Für die Schlossberghalle ist deshalb eine ungewöhnliche Aufstellung gewählt worden: Die Musiker sitzen auf der Bühne, für die Gesangssolisten gibt es eine Rampe, und der Chor, das Dorfpublikum, mischt sich unter die Zuschauer. "Man darf nicht gegen den Saal anspielen", meint Sczygiol dazu, "man kann kein Cuvilliés-Theater daraus machen".

Auf die Idee mit der Rampe und den schräg angeordneten Zuhörerreihen hat ihn sein Lehrer und Förderer gebracht, der Dirigent Georg Christoph Sandmann von der Musikhochschule Dresden. Wie es der Zufall wollte, dirigierte sein zweiter Mentor, Christian Thielemann, den "Bajazzo" bei den Osterfestspielen in Salzburg. "Eine tolle Inspiration", sagt der Thielemann-Schüler, der den Meister regelmäßig bei Proben begleitet und Gespräche mit ihm führt.

Lehrer, das sind für den 35-Jährigen, der kein Wort Polnisch spricht und seinen Nachnamen vom "oberschlesischen Stiefvater meines Stiefvaters" geerbt hat, immer auch Idole gewesen. Das war schon so bei Jiri Jangl aus Prag, der immer darauf bestand, dass der kleine Andreas mit Ausdruck Gitarre spielt. Das ist wohl auch bei Sandmann so, der ihn dazu ermunterte, seine Karriere als Dirigent weiterzuverfolgen. Denn ein "ganz banaler" Kletterunfall im Frühsommer 2001 hatte Sczygiol aus der Bahn geworfen. Er war bei einer Scharnitz-Tour im Fels angestiegen und aus drei Metern Höhe auf den rechten Arm gefallen. Ein Nerv war verletzt, nach zwei Operationen konnte er nur noch mit Schmerzmitteln dirigieren. Eine Quälerei.

Sczygiol brach völlig mit der klassische Musik, "das war ein Segen, so schwer es war", der vormalige "Philister" begann, Johnny Cash zu hören und Queen. Als Quereinsteiger absolvierte er schließlich eine dreijährige psychotherapeutische Ausbildung und arbeitet von 2006 bis Ende 2013 als Familientherapeut. Für die Sitzungen mit Paaren und Eltern mietete er einen Raum im Schloss Seefeld an. Ein hochherrschaftlicher Sitz mit Blick auf Pilsen- und Ammersee, der dem inzwischen wieder gesundeten Dirigenten heute als Studierzimmer dient. Eigentlich unvernünftig und totaler Luxus.

Aber das ist fast so wie mit der Oper.

Oper in Starnberg: "Der Bajazzo", 17. und 18. Juni in der Schlossberghalle, Beginn jeweils 19.30 Uhr. Im Vorprogramm: eine Orchestersuite aus der Leoncavallo-Oper "I Medici" in deutscher Erstaufführung. Karten zu 30 Euro (ermäßigt 15 Euro) unter Telefon 08151/772136 oder 08151/90600.

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