Starnberg:Flamenco-Lehrstunde

Starnberg KKH, Konzert

Eingängig: Jost Hecker, vormals Mitglied des Modern String Quartet, und Ricardo Volkert (v.li.) beim Auftritt in der rosafarbenen Kapelle.

(Foto: Georgine Treybal)

Gitarrist Ricardo Volkert und Cellist Jost Hecker mit "Cuentos del Sur" in der Klinik Starnberg

Von Gerhard Summer, Starnberg

Ein Seemann zu Lande kann wahrscheinlich nur nasse Träume haben. Das Wogen der Wiese wird für ihn zum Rauschen des Meeres, "zum Brüllen dieses Universums". Die Luft schmeckt plötzlich nach Salz, und er taucht hinab ins Wasser, tief und tiefer. Dort wartet eine Meerjungfrau auf ihn, womöglich eine sehr schöne Meerjungfrau. Und was macht er, der gute Mann? Umgarnt er sie, lässt er sich treiben? Na ja, fast. Er verkauft ihr Algen, frisch aus dem salzigen Meer, so will es der Dichter Rafael Alberti in seiner Gedichtsammlung "Marinero en tierra".

Es sind bizarre, leicht surrealistische Geschichten wie diese, die der Flamencogitarrist Ricardo Volkert aus Herrsching erzählt und vorwiegend in eigenen Vertonungen zusammen mit dem Cellisten Jost Hecker in der proppenvollen Kapelle der Klinik Starnberg spielt. In den Poemen von Federico García Lorca, Pablo Neruda und Alberti, in den Zigeuner-Zorongos, Bulerías, Alegrías und andalusischen Volkslieder geht es ums gute Essen und die Liebe. Um ein Duell zweier Brüder. Oder um Frau Luna, den Mond, der auf die Erde kommt, um ein Kind zu entführen. Und stets schwingt dabei der hohe Ton der Lyrik mit. Da gleichen dann die Hufe eines Pferdes "vier silbernen Seufzern", es "sterben vor Liebe die Zweige". Und Neruda schreibt: "Nimm mir das Brot, nimm mir die Luft, das Licht, den Frühling, aber niemals dein Lachen, denn sonst würde ich sterben."

Volkert liefert stets die deutsche Übersetzung mit, geht kurz auf die Dichter ein und erklärt auch, wie der Rhythmus der Bulería funktioniert ("oans, zwoa, drei"). So wird dieser Abend zur Lehrstunde in Flamencogeschichte. Das Schönste an diesem Konzert aber ist, dass Volkert sich als völlig uneitler Gitarrist erweist. Seine auf Tempo, Schwung und Dramatik ausgelegten Vertonungen reizen die dynamischen Möglichkeiten eines Duos aus, sind aber angemessen schlicht und gerade deshalb effektvoll. Sie nehmen oft gewaltig Fahrt auf und haben gelegentlich einen Hauch von Pop. Seine Rumba über eine andalusische Disco zum Beispiel, die bis zum Morgengrauen durchhämmert, geht gewaltig ins Ohr. Aber nie führt Volkert Virtuosität als Selbstzweck vor. Er beschränkt sich im Wesentlichen auf Akkordbegleitung und Rasgueados. Einmal lässt er sein Tremolo aufblitzen, ansonsten spart er sich alles, was Flamencogitarristen sonst so gern vorführen: Skalenraserei, Akkordakrobatik und anderen Griffbrettsport.

Die Rolle des Solisten kommt ohnehin Jost Hecker zu, der noch dazu den Perkussionisten gibt, oft mit putzig grinsendem Gesicht die zweite Stimme singt und sein Instrument gelegentlich wie eine Gitarre zupft und schlägt. Dabei zielt Hecker mehr auf Schwung und Pfiffigkeit als auf klassische Eleganz ab: Sein Solo in der Vertonung über das Gedicht "Immer was du willst" wirkt wie improvisiert, setzt auf Glissandi und bringt am Ende ein Riff, das auch auf der E-Gitarre funktionieren würde. Weil Cello und Gitarre doch ganz ordentlich laut sein können, dringt Volkerts Stimme nicht immer durch. Dabei hat er einen sehr angenehmen und natürlichen Bariton, der in den Höhen allerdings seine Grenzen findet. Bei einem ruhigen und eingängigen Lied, das auch ein Gedicht aus den Seemann-Geschichten als Vorlage hat, passt Volkerts Stimme besonders gut, vielleicht auch, weil er sich vor übertriebenem Pathos hütet.

Warum diese "Cuentos del Sur", diese Geschichten aus dem Süden, mehr Zuhörer anlocken, als Stühle in der Klinikkapelle aufzutreiben sind? Vielleicht hat das ja auch mit dem grausamen Aprilwetter hierzulande zu tun. Rauschender Applaus für Volkert und Hecker.

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