Kulturmacher:Film und Ehrlichkeit

Starnberg Filmfestival fsff

Kinochef Matthias Helwig, 55, hatte das Fünfseen-Filmfestival im Jahr 2007 begründet. Es gehört mittlerweile zu den größten deutschen Filmfesten.

(Foto: Georgine Treybal)

Dem Kinobetreiber Matthias Helwig gelingt es, die fürsorgliche Atmosphäre seines Fünfseen-Filmfestivals zu bewahren, obwohl das Fest Jahr für Jahr größer wird

Von Matthias Helwig

Der zahlende Besucher, der ins Konzert geht, das Kinofestival besucht oder das Museum, will ein Ergebnis sehen. Zu Recht. Wie viel Arbeit dahintersteckt, bis das Konzept einer Jazz- oder Klassikreihe steht, die Rockband den Auftritt zusagt und das erste Bild einer Ausstellung am Nagel hängt, interessiert ihn in dem Moment nicht. Dabei ist auch das ein Kunststück: Festivals, Musik- und Theaterreihen trotz geringer Zuschüsse über Jahre am Laufen zu halten. In der SZ-Serie "Kulturmacher" schreiben Veranstalter, wie ihnen das gelingt und mit welchen Schwierigkeiten sie zu kämpfen haben.

Am Anfang ist das Bild, das ist das Entscheidende. Zu beschreiben, wie es sein muss, ist im Voraus etwas schwierig. Denn es kommt oft als Überraschung daher, findet sich in einem Nebensaal in einem Kino in Istanbul, während der Geruch von Popcorn durch die Säle wabert. Oder nachts auf einer zugeschickten DVD auf der heimatlichen Couch. Ohne es beschreiben zu können, spüre ich, dass es ein wichtiges, ein weiter tragendes, ein bereicherndes Bild ist, ein Implikat. Alte Frauenhände in "Nabat", die ein Streichholz anzünden, um in leer stehenden Häusern ein Licht zu entflammen. Ein Mann, der in "Song of my mother" ein Kissen unter den Kopf der Mutter schiebt. Oder schon oft gesehene, die wieder und wieder hervorgeholt werden müssen, wie die vier Jungen an der Bahnstrecke in "Stand by Me" oder Laureen Bacall in der Tür lehnend in "Tote schlafen fest".

Es sind Bilder, die mich berührt haben, aus Gründen, die in meiner Biografie liegen. So gibt es für jeden das Bild oder die Bilder, die ihn auf sich zurückwerfen und gleichzeitig so in eine andere Person eintauchen und sie kennen lernen lassen, wie es kaum durch ein langes Gespräch möglich ist. Das ist der Anfang, das ist das jeweilige Bild.

Und das war der Anfang meines Kulturschaffens. Ich kannte die Bilder des Films und habe seitdem noch viele neue gesehen. Ich wollte sie weitergeben und damit die Möglichkeit auch hier in meiner Heimat für andere schaffen, sie zu sehen. Es war ein langer Weg, Publikum dafür zu finden, Kino nicht nur als Ablenkung zu sehen, sondern als Bereicherung oder als ein Medium, von dem man berührt und bereichert werden kann. Grundlage dafür muss die Offenheit, die Toleranz und die Neugierde sein. Sie prägen mich, und sie prägen mein Publikum.

Mit der Zeit kamen Künstler der anderen Sparten, Musiker, Maler, Bildhauer, Event-Künstler, Tänzer, Schauspieler, Dichter und Denker, Philosophen und Gewerbetreibende mit einem Anliegen auf mich zu, und ich versuchte ihr Schaffen mit dem Film zu verbinden oder ihnen einfach nur einen Raum für ihre Arbeit zur Verfügung zu stellen. Diese Kräfte und Energien zusammen zu führen, mündete schließlich in der Idee eines Festivals. Es war über die Jahre gut vorbereitet, ohne dass ich es wusste. Es fehlten nurmehr ein Termin, eine Farbe, ein Look, und vor allem engagierte Mitarbeiter, vom Grafiker zum Pressebetreuer, von den Moderatoren zu den Fahrern, vor allem aber von den verschiedenen Förderern und Unterstützern zum Allerwichtigsten: dem Publikum.

Dazu ergab sich vor allem dank Kurt Tykwer die Möglichkeit, berühmte Filmschaffende zu treffen. Es waren jeweils kurze klare Gespräche, mit Michael Ballhaus in seiner Berliner Villa, mit Armin Mueller-Stahl in einem Nebenraum des Leeren Beutels in Regensburg vor einer Ehrung, mit Hannelore Elsner auf der Preisverleihung des Bayerischen Filmpreises, umringt von vielen Journalisten und anderen aus der Filmbranche. Hans Steinbichler stand daneben und sagte, was ich machte, und vielleicht hat sie deswegen einen Moment lang zugehört. So sagte sie mir zu, und ich versuchte sie während ihrer Aufenthalte auf dem Fünfseen-Filmfestival vor den vielen Besuchern eher zu schützen als sie ihnen auszusetzen.

So halte ich es mit allen bekannten Persönlichkeiten, die das Festival besucht haben. Sie sind vor allem Menschen, und sie sollen sich wohl fühlen. Sie kennen zwar die Pflichten des roten Teppichs, aber genauso wie wir alle lieben sie das gute, intensive Gespräch. Ich will sie als Künstler ernst nehmen und nicht als Konterfei eines schnell vergehenden Fotos. Armin Mueller-Stahl war müde von seinem Flug aus Los Angeles, und wir besorgten ihm zwei Liegestühle, damit er ungestört in Oberndorf am Wörthsee den Nachmittag verbringen konnte. Ich glaube nicht, dass es einer der dort Badenden mitbekommen hat. Mit Hannelore Elsner fuhr ich an einen kleinen See im Fünfseenland, damit sie unerkannt ein paar stille Momente genießen konnte, mit Corinna Harfouch redete ich über Kinder und Erziehung im Seefelder Bräustüberl. Wim Wenders traf ich in einem Münchner Hotelzimmer. Mit breiten Hosenträgern kam er mir entgegen und reichte mir seine große kräftige Hand. Es war der Anfang einer Freundschaft, vor allem gefördert durch seine sehr eigenwillige Frau Donata, die mit Wanderschuhen ausgestattet lieber den Weg in die Natur des Fünfseenlandes suchte als aufs Parkett der Kinos. Als wir "Paris/Texas" zeigten, setzte sich Wim "nur kurz" auf eine der Bierbänke, kuschelte sich an seine Frau und blieb den ganzen Film, seinen Film. Was mag ihm da alles durch den Kopf gegangen sein?

Für mich waren es großartige Erlebnisse, für sie vielleicht Alltag, vor allem aber hoffentlich ein Gefühl des Aufgehobenseins und der Vertrautheit. Womöglich haben sie das in der Branche weitergegeben, sodass das Fünfseen-Filmfestival über die Jahre einen guten Leumund bekommen hat. Es geht hier um Ehrlichkeit und es geht um den Film. Dazu sind die Mitarbeiter hochmotiviert, und das Publikum ist rücksichts- und respektvoll. So ist es vielleicht gelungen, zwischen den Kino- und Festivalbesuchern und den Künstlern Brücken zu schlagen. Eine wundervolle Aufgabe, die mich voller Dank gegenüber allen Mitarbeitern und Förderern erfüllt.

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