Starnberg:Die Klangsucherin

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Stephanie Straaß ist fasziniert von Musikinstrumenten, die als divenhaft und unberechenbar in ihrer Klangentwicklung gelten. Die detailversessene Geigenbauerin vermag zuweilen selbst eine abgeschabte Fiedel in ein wohlklingendes Instrument zu verwandeln

Von Gerhard Summer, Starnberg

Es gibt Geigen, die sind launisch und zickig, Diven aus Holz, Leim und Schelllack. An manchen Tagen klingen sie so offen und voll, als gäb's kein Halten mehr, dann wieder ist es scheinbar vorbei mit der verschwenderischem Fülle und dem Glanz - weiß der Himmel, woran das liegt. An der Luftfeuchtigkeit? Am Spieler, der noch größere Stimmungsschwankungen hat als sein Instrument? Am nicht optimal platzierten Stimmstock?

Stephanie Straaß, 55, nimmt eine Geige aus der Vitrine in ihrer kleinen ruhigen Werkstatt mit Blick in den gepflegt wuchernden Garten, ein Meisterstück mit bordeaux-rotem, stellenweise verblichenem Lack. Warme, durchsetzungsfähige Töne fluten den Raum. Straaß setzt das Instrument ab und ist selbst überrascht, wie gut sich das anhört. Tja, sagt sie: "Tagesform".

Natürlich sind nicht alle Geigen flatterhafte und unberechenbare Wesen, viele klingen sogar bemerkenswert konstant, ob es nun schneit oder stürmt. Doch die Starnberger Geigenbauerin hat wesentlich öfter mit Seelchen zu tun als mit stabilen und gleichsam immer gleich gut gelaunten Instrumenten. Das ist nun mal ihre Spezialität: Sie optimiert Geigen und Bratschen für den Verkauf, repariert und restauriert Flohmarktkäufe, handelt mit neuen und alten Instrumenten und kümmert sich um Stücke, die geerbt oder auf dem Dachboden gefunden worden sind - ja, auch das kommt immer noch vor. Ihre Kunden sind "Musikliebhaber und Amateure, aber auch Profis". Sie kommen vom Ostufer des Starnberger Sees, aus Wolfratshausen, Gauting und Gräfelfing, vom Ammersee, aus Weilheim, Bernried oder aus Tutzing.

Zu Neubauten kommt Straaß im Moment kaum, das "Alltagsgeschäft hält mich in Schach". Sie passt Wirbel ein, richtet Griffbretter ab, reinigt den Lack, retuschiert ihn und poliert "so wenig wie möglich, um den Originallack zu erhalten". Mit 400 bis 600 Euro ist man dabei, wenn man von ihr eine Dachbodengeige auf Vordermann bringen lässt. Und sogar Straaß ist oft erstaunt, wie stark sich kleinste Veränderungen auf den Klang des Patienten auswirken können. Denn bei der Geige zählt jedes Detail, jede Kante und Rundung. Die Besaitung spielt eine Rolle. Die Härte des Lacks. Natürlich auch die Qualität des feinjährigen Holzes. Und wie dick oder dünn die Fichtendecke, der Boden und die Zargen aus Ahorn ausgearbeitet sind. Gerade mit Steg und Stimmstock könne man unglaublich viel aus einem Instrument herausholen, sagt Straaß.

Stimmstock? Das kleine feingemaserte Stück Fichtenholz klemmt von außen fast unsichtbar zwischen Decke und Boden. Ein etwa 4,5 Zentimeter langes unscheinbares Stäbchen, etwas dünner als ein Bleistift. Allein den Stimmstock an die Wölbungen anzupassen, ist Feinarbeit. Straaß nimmt dazu mit dem Schnitzmesser hauchdünne Spänchen ab. Bei der Platzierung mit Zahnarztspiegel und Stimmsetzer, einem schlangenartig gebogenen Werkzeug, wird's endgültig filigran. Dann können Zehntelmillimeter darüber entscheiden, ob die Geige satt, süßlich oder matt klingt. Eine Tüftelei für Nervenstarke, ein "ewiges Rein und Raus". "Der Stimmstock sollte 2,5 bis drei Millimeter hinter dem Steg der Geige sitzen, aber drei Millimeter sind mir oft zu viel". Alte und neue Hölzer machen auch einen Unterschied. Und es kommt vor, dass eine Geige kaum oder gar nicht auf solche Modifikationen reagiert, "bei manchen ist es egal, was reinkommt". Straaß gehört zu den geduldigen Klangsuchern unter den Instrumentenbauern, sie tüftelt oft stundenlang: "Das finde ich toll, wenn man nie fertig wird mit dem Thema." Schon als Kind faszinierten die gebürtige Münchnerin, die in Söcking aufgewachsen ist, "fitzelige Sachen".

Dabei hat sie das als Berufsanfängerin noch wahnsinnig gemacht: dieses Geheble, bis der Stimmstock "überhaupt stehen blieb". Das war in ihrer Gesellenzeit, nach der dreieinhalbjährigen Ausbildung an der Mittenwalder Berufsfachschule für Geigen- und Zupfinstrumentenbau. Die junge Frau, die selbst Geige, Bratsche und Ukulele spielt, lernte damals bei Meistern in Nürnberg, Karlsruhe, Regensburg und Krems. Und ihr Chef in Krems war besonders genau, also in etwa so pingelig, wie die Geigenbauerin heute selbst bei der Arbeit ist. Im Gegensatz dazu bevorzugt sie, was Äußerlichkeiten betrifft, selbst den lässigen Look: Schlabberhose, blauer ausgeleierter Pullover, die dunklen Haare zum Pferdeschwanz gebunden. 1992 machte sie sich selbständig, erst mit einer Werkstatt in Perchting. 2006 zog sie in die hellen Souterrain-Räume in einer ruhigen Ecke Starnbergs um, wo sich Instrumentenkoffer und -etuis zu einem schiefen Berg stapeln und auf den Regalen Fläschchen und Gläser mit Lack, Tinkturen und Beizen stehen.

Vom schwierigen Handel mit teuren alten Instrumenten hält sich Straaß fern. Sie geht davon aus, dass auf dem Markt jede Menge Fälschungen zu finden sind: Fiedeln, die laut Zettel im Inneren Meisterwerke von Landolfi, Testore oder Gabrielli sein sollen, ja von Amati und Stradivari, aber in Wahrheit aus Markneukirchen stammen. "Sachsenkistl", sagt sie dazu. Lieber will sie demnächst wieder mehr eigene Instrumente bauen. 160 Arbeitsstunden stecken in einer Straaß-Geige, die Preise bewegen sich zwischen 10 000 und 12 000 Euro. Klar, die Konkurrenz in der Nähe ist groß: Allein in München dürfte es etwa 40 Geigenbauer geben.

Für einen Kunden, einen Hobbymusiker aus Geltendorf, exerzierte Stephanie Straaß einmal durch, wie sich unterschiedliche Stimmstöcke auswirken können: Sie fertigte sechs genau gleich angepasste Hölzchen für eine von ihr gebaute Barockgeige an. Das Instrument klang damit immer wieder anders - "das ergab sechs verschiedene Charaktere". Am Ende wollte der Musiker aber wieder den alten Stimmstock haben: Damit klang die Geige besonders süß.

© SZ vom 27.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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