Starnberg:Die Bergläuferin und der Schattendieb

13 Künstler sind bei den Ateliertagen am Westufer des Starnberger Sees dabei. Die Kunst ist so spannend wie das Umfeld, in dem sie entsteht. Ein Rundgang.

Von Sabine Bader

Seh' ich Sie morgen auch bei den Ateliertagen?" "Gibt's da denn was zu sehen?""Ja, natürlich. Sie sind wohl ein Kulturbanause?" Auch wenn der Dialog frei erfunden ist, er könnte sich so ziemlich an jeder Straßenecke und an jeder Ladentheke in Starnberg zugetragen haben. Tatsache ist: Wer sich an diesem Wochenende zu einer kleinen Rundreise durch einige Werkstätten am Starnberger See aufschwingt, der muss kein ausgewiesener Kunstkenner sein, muss Stilrichtungen und Strömungen nicht präzise einordnen können. Es reicht ganz einfach, die Augen auf zu machen.

Starnberg: OFFENE ATELIERS

Stellt zu den Ateliertagen am Westufer des Starnberger Sees aus: Lisi Binder aus Possenhofen.

Foto: Johannes Simon

(Foto: Johannes Simon)

Station 1 (Starnberg, Possenhofener Straße 29): Das Haus, in dem Ulrike Prusseit wohnt, liegt gar nicht malerisch. Es ist eingeklemmt zwischen Hauptstraße und Bahndamm. Die Terrasse im ersten Stock ist fast auf Gleishöhe, die Entfernung beträgt nur ein paar Meter. Es ist ein altes Holzhaus aus den 1920er Jahren. Im Hof stehen etliche Holzhütten. In einer von ihnen hat Prusseit ihr Atelier. "Meine Frau kann dort richtig sauen", sagt der Ehemann. Dass das stimmt, verraten die vielen Farbspritzer auf dem Boden. Früher hat Prusseit in dem Raum eine Malschule für Kinder betrieben. Für die Ateliertage ist eine Bekannte aus Feldafing eingezogen: Karin Irshaid. Sie saut nicht herum. Denn sie zeigt großteils Bleistiftzeichnungen. Schnelle Bilder von Bergen, ganze Berglandschaften. Wimmelbilder aus der Vogelperspektive mit Flussläufen und Segelbooten - reduziert, klar. Im Anbau des Wohnhauses mit Galerie, stellt die Hausherrin gemeinsam mit Elvira Lantenhammer, einer anderen Künstlerfreundin, ihre Arbeiten aus. Die banale Assoziation mit einem Fußballspiel bietet sich an: Das Runde trifft aufs Eckige. Lantenhammer, die sonst in Schloss Homburg am Main lebt und arbeitet, befasst sich vornehmlich mit flächigen, kräftigen Farbquadraten und -rechtecken. Prusseit hält es derzeit mehr mit Ellipsen und Kreisen. Manche ihrer Collagen wirken leicht entrückt, durchscheinend. Das macht die dünn aufgetragene Wachsschicht.

Station 2 (Niederpöcking, Buchenweg 5): Wer Helga Henckmann sucht, der findet sich in einer wild verschachtelten Siedlung mit Einfamilienhäusern wieder, die einmal sehr modern gewesen sein muss. Vor Henckmanns Haustür hängt eine rot bemalte Bubblefolie - als Wegweiser für die Kunstsinnigen. Auch im Haus sind die Zimmer nicht immer rechtwinklig, so wollte der Architekt offenbar den Eindruck von Individualität vermitteln. Im Wohnzimmer und im Arbeitszimmer zeigt Henckmann ihre Bilder. Viele Arbeiten zeigen Personen in Bewegung, gehend, laufend, schreitend. Im krassen Gegensatz dazu wirkt das Bild "Bottles", auf dem drei aufgereihte Cola-Flaschen zu sehen sind, wie eine Vollbremsung.

Station 3 (Possenhofen, Karl-Theodor-Straße 6a):Ein Immobilienmakler würde den Holzschuppen, in dem Ursula Steglich-Schaupp ihr Atelier hat, ungefähr so anpreisen: "Künstlerdomizil in Traumlage mit malerischem Blick auf Sisi-Schloss und See zu vermieten." Steglich-Schaupp weiß natürlich um die privilegierte Lage ihrer Arbeitsräume. An die Wand im Inneren hat sie - quasi als Gegenpol zur malerischen Landschaft - einige bunt bemalte Kitsch-Geweihe genagelt. Drei große Formate sind ihre jüngsten Werke. Eine Besucherin findet die Bilder anatomisch. Auf dem einen erkenne sie blaue Rippen, auf dem anderen ein Herz, sagt sie. "Wenn Sie das so sehen, ist das okay", antwortet Steglich-Schaupp. Sie selbst hat die drei Bilder "Übermalung" getauft, weil sie eben Übermalungen sind. Wilde Bilder in grellen Farben, entstanden nach dem Tod ihres Ex-Mannes. Im Raum gegenüber, hinter einem schwarzen Vorhang, zeigt Katharina Kreye ihre Fotoarbeiten. An eine Wand hat sie kleinformatige Fotos gepinnt - allesamt mit dem Handy aufgenommen. Das Handy, sagt sie, ist ihr Notizblock. An etlichen Motiven würden andere vorübergehen. Ihr fällt es auf. Etwa, dass auf der Anzeige in der S-Bahn erst "Tutzi" steht und dann "Pasi". Das ist witzig. Sie selbst mag von sich momentan die Porträtfotos. Zu denen gibt es spezielle Geschichten, weil sie die Porträtierten gefragt hat, was für sie Provinzialität ist.

Station 4 (Possenhofen, Seeweg 1):"Kunstwerft" nennt Lisi Binder ihren Ausstellungsraum - wohl, weil er direkt neben der Bootswerft Glas liegt. Eigentlich ist es ein Laden, den Binder halbtags betreibt und darin Seidenblumen, gefällige Kunstgegenstände und Selbstgemaltes verkauft. Das Geschäft, sagt sie, läuft natürlich besser, wenn Schifffahrtssaison ist. Im vorderen Teil des Ladens zeigt Christine Johne ihre Arbeiten, in denen sie sich unter anderem mit dem Eisbach in München beschäftigt hat.

Station 5 (Feldafing, Bahnhofstraße 20):Ja, es dürfen auch Männer mitmachen bei den Ateliertagen. Der Ausstellungsraum von Johannes Hofbauer liegt ebenfalls in Lauflage. Hofbauer arbeitet mit Holz. Präsentiert daraus Kugeln, Vasen, Schalen. Aber auch Kunstwerke, die aussehen wie Sendeanlagen. Unwillkürlich schaut der Besucher zur Decke. Dort hängt ein filigranes Gebilde aus dünnen Holzstangen, das aussieht wie eine Rohrpost. Passend dazu hat Ulrike Gerd Hartmann Bilder gemalt.

Station 6 (Feldafing, Heimgartenstraße 6): Idealer könnte er kaum sein, der Arbeitsplatz von Susanne Palme-Waldemer. Sie hat sich an ihr Wohnhaus ein pfiffiges Atelier mit verschiebbarer Balustrade eingerichtet. Das indirekte Licht kommt aus Nordwest, ideal. Und sie ist auf Empfang - zumindest künstlerisch. Denn ihr derzeitiges Thema heißt moderne Kommunikation. Darum dreht sich auch die Installation aus weißen Reliefs an der Wand, verbunden durch gespannte Schnüre. Senden, empfangen, vernetzen.

Station 7 (Pöcking, Hohen Wurz 5): "Die marokkanischen Teppiche in der Pinakothek der Moderne haben mich sehr inspiriert", erzählt Ingrid Sidow-Sum einem Besucher. Und hätte sie es nicht gesagt, man hätte es trotzdem bemerkt. Denn die Bilder in Wohn- und Esszimmer ähneln den gewebten Vorbildern - sowohl in Form- als auch in Farbgebung. Sidow-Sum arbeitet im ersten Stock. Und die farbigen Skulpturen, die sich dort unter der Dachschräge aneinander drängen, verhehlen es ebenfalls nicht: Sie ist fasziniert von Afrika.

Station 8 (Pöcking, Starnberger Straße 9): Ist bei Julius Wurst überhaupt noch etwas los? Fraglich. Schließlich sind seit dem Start der kleinen Kunsttour mehr als vier Stunden vergangen. Es ist bereits nach 19 Uhr und damit ist der Ateliertag offiziell beendet. Doch Wurst ist noch da. Er schaut aus seinem weißgekalkten Kellerraum in den ebenso weißen Flur. Seine Kunst macht er im Nachbarhaus, in einem baugleichen Kellerraum, versehen mit nur einem schmalen Oberlicht. "Das macht mir nichts", sagt er leichthin. "Wissen Sie, ich war früher Informatiker, bin also an künstliches Licht gewöhnt." Im Keller von Haus Nummer 9 sind seine Ausstellungsräume, direkt gegenüber einer Abstellkammer für Fahrräder und einem Raum mit Waschmaschinen. Das macht Wurst ebenfalls nichts. Im Gegenteil: Es scheint ihn zu inspirieren. Wurst ist ein Schattendieb. Er stiehlt Silhouetten, die sich auf Gehsteigen abzeichnen - unbemerkt, im Vorbeigehen. Fängt sie ein mit der Kamera, um sie später in Wachs auf großformatige Holzplatten zu bannen. Raum und Schattenmenschen wirken, als wären sie füreinander gemacht. Dabei mag das Zwölf-Parteien-Haus manchen Besucher abgeschreckt haben. Ein typischer Wohnblock der Siebzieger eben. Im schmucklosen Eingang eine Batterie Briefkästen, ein Rollator. Und im Keller: Julius Wurst mit seinen Arbeiten. So spannend kann Kunst sein und das Umfeld, in dem sie entsteht.

Die Ateliers sind auch am Samstag und Sonntag, 12. und 13 April, 14 bis 19 Uhr, geöffnet.

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