Starnberg:Der universelle Landwirt

Bauer, Dozent und Kunstturner Uli Ernst betreibt in Utting das Labyrinth "Ex Ornamentis", einen Hochseil-Klettergarten, 13 Schnittblumen-Felder und neuerdings auch einen mobilen Hühnerstall

Von Armin Greune

Utting: Aussiedlerhof Uli Ernst Utting:Uli Ernst: Ammersee Bioeier Hühnerhof

Nach strengen „Naturland“-Richtlinien: Uli Ernst vor seinem umgebauten Hühnermobil.

(Foto: Nila Thiel)

Wer sich den isoliert zwischen Schondorf und Utting stehenden Gebäuden nähert, erkennt sie sofort als Bauernhof. Doch je näher man hinschaut, um so weniger entspricht der Familienbetrieb von Uli Ernst dem Bild, das man gemeinhin von einer Landwirtschaft hat. Gut, es stehen 120 Rinder im Stall oder auf der Weide - aber dazu kommen noch sechs andere Betriebszweige, die nur wenig mit traditioneller Agrikultur gemein haben.

Überregional ist dieser einzigartige Gemischtwarenladen aus Urproduktion und Dienstleistungen mit dem Labyrinth "Ex Ornamentis" bekannt geworden, das seit 1999 jeden Sommer viele Besucher in das Freizeitgelände am Ammersee lockt. Auch für den in der Nähe gelegenen Hochseil-Klettergarten in Form eines Piratenschiffs haben die Ernsts die Idee entwickelt, bei der "Wilden Gretl" wirkte Steffen Pfau mit. Rund um den Ammersee betreiben sie 13 Felder, auf denen Kunden Schnittblumen ernten können. Und gerade geht eine neue Betriebssparte an den Start: Am Abzweiger von der Staatsstraße zum Hof können sich Verbraucher bald mit Bio-Eiern aus einem mobilen Stall eindecken.

"Je mehr Standbeine man hat, um so sicherer steht man - dann ist man als Landwirt den Schwankungen des Weltmarkts nicht so ausgesetzt", sagt Uli Ernst. Sein Betrieb balanciert sozusagen auf sieben Standbeinen, wenn man die vor 15 Jahren installierte Fotovoltaik mitzählt. Weiter trägt Ernst beträchtlich mit seiner nationalen und internationalen Dozententätigkeit zum Hofeinkommen bei. An 60 Tagen im Jahr - meist im Winter - vermittelt er freiberuflich Kollegen sein Wissen und unterstützt sie dabei, ein eigenes Persönlichkeits- und Betriebsprofil zu entwickeln. Gerade erst war er zu einem Unternehmertraining in Kärnten eingeladen. Und regelmäßig ist Ernst in Ostafrika unterwegs, von wo er auch den Kaffee mitbringt, den er seinen Besuchern im geräumigen Wohn- und Esszimmer im ersten Stock des Hofs serviert.

Utting: Aussiedlerhof Uli Ernst

Leidenschaftliche Turner: Corinne und Uli Ernst mit ihren beiden Söhnen Fridolin und Valentin.

(Foto: Nila Thiel)

"Ich hatte schon immer ein Faible für Afrika", sagt der Mittvierziger, der wesentlich jünger wirkt. Man kann sich gut vorstellen, dass seine lebhafte Begeisterung Seminarteilnehmer ansteckt, die nicht einmal halb so alt sind wie Ernst. Schon die Hochzeitsreise mit seiner Frau Corinne 2002 führte ihn nach Namibia. Eine weitere Leidenschaft des Paares - und inzwischen auch der beiden Söhne Fridolin (6) und Valentin (9) - ist schon am Mobiliar im Wohnraum zu erkennen: Von der Decke hängen zwei Schaukelringe, vor der Kochnische steht ein Pauschenpferd. Im Alter von vier Jahren hat Uli mit dem Turnen begonnen und im Lauf der Jahre viele Wettkämpfe und Meisterschaften gewonnen. Vor allem im Mehrkampf, denn auch beim Sport ist nicht die Spezialisierung, sondern die Vielseitigkeit seine Stärke. 24 Jahre lang turnt er im Bundesliga-Team "Exquisa Oberbayern", 16 Jahre davon als Kapitän. Corinne hat er 1994 im Landesleistungszentrum der Kunstturner kennengelernt. Sie betreut heute die Buben beim TSV Utting - ist aber vor allem in Management, Logistik und Kundenservice des Familienbetriebs beschäftigt. Obendrein arbeitet die Juristin als Anwältin.

"Rumgekriegt habe ich sie 1996 auf der Schwedeninsel", erzählt Uli mit bübischem Grinsen: Das 2006 abgerissene Häuschen dort am Südufer des Ammersees hatte vorübergehend seinem Onkel Hans gehört, bis der Freistaat Vorkaufsrechte für den Naturschutz durchsetzen konnte. Die in der Ammerseeregion verwurzelte und weit verzweigte Fischer- und Bauernfamilie lässt sich bis ins Jahr 1640 zurückverfolgen. Während sein Bruder Bernhard Ernst die aquatische Seite des väterlichen Betriebs übernahm und heute als promovierter Biologe der Fischereigenossenschaft Ammersee vorsteht, hat Uli das terrestrische Erbe angetreten. Sein Berufsweg begann mit einer klassischen landwirtschaftlichen Ausbildung, die er zum Teil am Staatsgut Achselschwang absolvierte und an die sich Fachabitur und Studium an der Fachakademie für Landwirtschaft anschlossen.

1995 nahm Uli Ernst am Grundkurs in Herrsching teil und erhielt dort ein Stipendium für den Top-Kurs der AHA (Andreas-Hermes-Akademie) in Bonn. Dort lernte er die vom Dozenten Gerd Lohmüller erfundene Bauern-Unternehmer-Schulung "bus" kennen, die Landwirte zu unternehmerischen Denken ermutigt "Das hat mein Leben ziemlich verändert", sagt Ernst. 1999 wurde er selbst bus-Trainer, seitdem hält er unter anderem im Herrschinger Haus der Landwirtschaft Seminare. Überhaupt stand für ihn das letzte Jahr des alten Jahrtausend im Zeichen des Aufbruchs: Der Vater - der heute noch am Aussiedlerhof Pensionspferde hält und die Teiche bewirtschaftet - war damals noch elf Jahre vom Renteneintritt entfernt. Uli Ernst suchte sich daher eigene Tätigkeitsfelder und eröffnete die erste Schnittblumenfläche und das Labyrinth im Sonnenblumen-Maisfeld.

Landwirt sei "der Beruf der Möglichkeiten", zitiert Ernst seinen Mentor Lohmüller: "Es gibt nicht einen Weg für alle, aber für alle einen Weg". Am äußeren Speckgürtel der Metropole München gelegen, nehme sein Betrieb eine Sonderrolle ein: "Wir können hier Nische". Seine eigenen Flächen umfassen gerade einmal 24 Hektar, zirka 50 Hektar hat Ernst von etwa 50 Eigentümern dazu gepachtet. Drei Mitarbeiter sind ganztags-, einer halbtags angestellt. Den Agraringenieur Lukas Hedeler sieht Ernst inzwischen als Partner an, außerdem hilft eine rumänische Landarbeiterfamilie auf dem Hof mit. Die Künstlerin Maike von Arndt ist fest im Hochseilgarten beschäftigt, zur Hochsaison sind dort manchmal 20 Mitarbeiter tätig, die meisten auf 450-Euro-Basis. "Einige fangen mit handwerklichen Jobs oder an der Kasse an und werden schließlich Trainer", sagt Ernst. Weil er auf der Wilden Gretel aus Sicherheitsgründen nur hochwertige Ausrüstung und qualifiziertes Personal einsetzt, ist dieser Betriebszweig auch zehn Jahre nach der Eröffnung noch immer ein finanzielles Vabanquespiel.

Natürlich spielt beim Ertrag des Klettergartens das Wetter in der Saison von März bis November eine Rolle - aber das Labyrinth, das ja nur vom Juli an zehn Wochen steht, reagiert noch viel empfindlicher auf Nässe und Kälte. "Am meisten tut uns jedoch Regen am Muttertag weh", sagt Ernst, das ließe sich noch am jährlichen Betriebsergebnis der Blumenfelder ablesen. Bis die richtige Sortenwahl mit möglichst unterschiedlichen Blühterminen gefunden war, habe er"fünf Jahre lang Lehrgeld bezahlt". Und der Spätfrost 2017 hat Ernst etwa 10 000 Euro gekostet. Unverdrossen wird er heuer auf den 15 Hektar Blumenwiesen mit einer halben Million Zwiebeln eine neue Rekordmarke setzen - allein 120 Sorten Tulpen sind darunter.

Mit dem Labyrinth waren die Ernsts in Süddeutschland Pioniere: "Das war wirklich ein Geschenk, praktisch mit Taschengeld zu starten" - während es mit der investitionsträchtigen Kletteranlage "ein langer Weg zur schwarzen Null war." Die ersten drei Jahre wurde Ex Ornamentis noch zehn Tage lang von Hand mit einem Raster eingemessen. Dann kam Professor Gerd Merkel von der Hochschule für angewandte Wissenschaften München auf sie zu, der zunächst nicht glauben wollte, dass man das Uttinger Labyrinth ohne Satellitenunterstützung angelegt hatte. 2002 steckten erstmals angehende Geografen im Rahmen einer Vermessungsübung zum Satellitenortungsverfahren GPS das riesige Pflanzenfeld ab - passenderweise entstand das Muster einer Weltkarte.

Schon bei der Weihnachtsfeier sammelt das Labyrinth-Team Ideen für die nächste Saison. Eine Uttinger Besonderheit sind die interaktiven Rollenspiele zum jeweiligen Thema. "Heuer wollen wir uns an der Feier zum 100-jährigen Bestehen des Freistaats beteiligen", kündigt Ernst an. Wenn dann im Herbst Mais, Hanf und Sonnenblumen ausgedient haben, werden sie untergepflügt, kompostiert oder an die Kälber verfüttert. Sie erhalten zudem Soja und Getreide aus eigener Produktion, auf dem Hof wachsen sie zwei Jahre lang bis zur hochträchtigen Kuh heran, 2014 hat Ernst die Jungviehaufzucht auf Bio umgestellt.

Auch die gerade gestartete Hühner-Weidehaltung wird strengen "Naturland"- Richtlinien entsprechen. Hedeler kam auf die Idee, einen Lkw-Kühlaufleger zum mobilen Stall mit Computersteuerung umzubauen. Für die 300 Junghennen wählte man die Zweinutzungs-Rasse "Sandy", bei der auch die männlichen Küken aufgezogen statt geschreddert werden. Ernst rechnet damit, dass die Hühner die Hälfte ihres Kalorienbedarfs mit Grasen decken, und hofft, dass nicht allzu viele dem Habicht zum Opfer fallen. Vielleicht stehen ihnen die reichlich vorhandenen Krähen zur Seite, Ernst überlegt aber auch, einen Ziegenbock als Hühnerhüter anzustellen.

Natürlich hat eine multifunktionale Landwirtschaft auch ihre Schattenseiten: "Jeder zusätzliche Betriebszweig erfordert viel Aufwand." Die Büroanteil an seiner Arbeitszeit steigt stetig an, für die Steuererklärung braucht Ernst inzwischen sechs Steuerberater. Dennoch: "Aus der Abwechslung schöpfe ich Kraft", sagt Uli Ernst. Seine Kraft hat er 2017 mit der Münchner Moriskentänzergruppe unter Beweis gestellt, als das Team den ersten Platz im Bulldogziehen auf dem Bürgerfest im oberpfälzischen Rötz belegte. Und wie sehr ihm das Balancieren - auf wie vielen Standbeinen auch immer - im Blut liegt, hat der Turner Ernst auch schon 15 Jahre lang als Akrobat an der Bayerischen Staatsoper unter Beweis gestellt.

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