Starnberg:Der Professor und das Psychoduell

Regisseur Tom Bohn dreht seinen Thriller "Reality XL" mit dem Hauptdarsteller Heiner Lauterbach in der Erdfunkstelle Raisting.

Armin Greune

Klappe 31/3: "Sie planen also einen Pressecoup, um auf sich und ihre Arbeit aufmerksam zu machen", stellt Max Tidof alias Ermittler Robin Spektor fest. Am Set herrscht andächtige Stille: Fast das gesamte Drehteam drängt sich hinter dem Monitor, um hinter dem Verhörtisch Heiner Lauterbach in Großaufnahme zu beobachten, der erst mal schweigt. Der Star spielt in Tom Bohns Psychothriller "Reality XL" die Hauptrolle, Professor Carus. Der geniale Physiker sieht mit Käppi und Ledermantel eher wie ein Kutterkapitän aus, säße er nicht im Rollstuhl. Carus ist als Einziger der Nachtschicht aus dem Kontrollraum des Kernforschungszentrum CERN zurückgekehrt - von den 23 Kollegen fehlt jede Spur. Hat sie ein schwarzes Loch verschluckt? Sind sie vom Teilchenbeschleuniger entmaterialisiert worden? Welchen Anteil hat Carus an ihrem Verschwinden? Drei Kripobeamte (als weitere Darsteller wirken Annika Greta Brendl und Godehard Giese mit) versuchen, die Wahrheit hinter der unglaublichen Geschichte aufzudecken - und kämpfen dabei um den Erhalt dessen, was wir als unsere Realität ansehen ...

Starnberg: Dreharbeiten in futuristischem Ambiente: Kameramann Martin Schlecht, Regisseur Tom Bohn und Heiner Lauterbach setzen in einer Antenne der Raistinger Erdfunkstelle den unabhängig finanzierten Psychothriller "Reality XL" in Szene. Foto: Fuchs

Dreharbeiten in futuristischem Ambiente: Kameramann Martin Schlecht, Regisseur Tom Bohn und Heiner Lauterbach setzen in einer Antenne der Raistinger Erdfunkstelle den unabhängig finanzierten Psychothriller "Reality XL" in Szene. Foto: Fuchs

(Foto: STA)

Mit der Erdfunkstelle Raisting ist für "Reality XL" die ideale Location gefunden worden: Es ist die erste Spielfilmproduktion in diesem futuristischen Ambiente. Erst hatte man eine leer stehende Druckerei in Dießen als Drehort ins Auge gefasst, was aber an feuerpolizeilichen Auflagen scheiterte. Zwei Monate vor Drehbeginn war das "schon ein Tiefschlag", sagt Nue Ammann vom Filmteam - der sich dann doch als "großer Glücksfall" erwies. Denn Bohns vorsichtige Anfrage bei EMC traf bei den Betreibern der Empfangsstation auf offene Türen.

Elf Tage lang verwandelt sich nun der Fuß der immer noch als Reserve betriebsbereiten Antenne 2 zum Filmset. Im Keller sind Maske und Aufenthaltsraum eingerichtet, im Erdgeschoss finden sich Bänke und Tische, ein üppiges Buffet und Berge an Mineralwasser- und Apfelsaftgebinden. Und im Obergeschoss werden 92 Prozent des Streifens gedreht: Vor der minimalistischen Kulisse aus betagten Computertürmen, Büromöbeln und Paneels an den fensterlosen Betonwänden lässt sich das Psychoduell perfekt ins Bild setzen.

Doch nicht nur die ungewöhnliche Location macht "Reality XL" zu einem einzigartigen Projekt: Der längst arrivierte und ausgezeichnete Regisseur (siehe Kasten) hat nicht nur das Buch verfasst, sondern produziert auch selbst. Bewusst nahm Bohn ein hohes Risiko auf sich und verzichtete auf langwierige Verhandlungen mit Filmverleihs, Fernsehanstalten und Förderfonds: "Man muss andere Wege gehen und in Deutschland mal einen Film machen, ohne um Erlaubnis zu fragen", sagt der 51-Jährige. Produktionsmittel seien knapp geworden, aber die Aufnahmetechnik habe sich weiterentwickelt: Bohn will beweisen, dass sich mit einem geeignetem Buch Kinofilme in Szene setzen lassen, die den Vergleich mit Megaproduktionen nicht scheuen müssen. Vor drei Jahren hat er deshalb das Internetportal www.indie-stars.de gegründet: Ein kostenloses Forum für Filmemacher, das nun auch als Produktionsfirma für den Film "Reality XL" fungiert.

Das Projekt finanziert Bohn mit eigenem Geld und mit Kapital von Bekannten. Viele am Set arbeiten "auf Rückstellung": Erst wenn der Film Erlöse erzielt, wird die Gage ausgezahlt. Die indirekte Erfolgsbeteiligung fördert den Teamgeist am Set: Die meisten tragen Kapuzenpullis mit dem Filmmotiv, auf einem T-Shirt steht "Film No Compromise", der Boss - von allen nur Tom gerufen - trägt auf der Brust das Credo "Gefordert, nicht gefördert".

Seine blauen Augen strahlen so intensiv, dass man glaubt, sie müssten im Dunkeln leuchten. Der Enthusiasmus ist ansteckend: Wer "Independent" mit Lässigkeit oder gar Amateuren verbindet, liegt hier völlig falsch. Der knapp 40 Leute umfassende Aufnahmestab geht im Vergleich zu den meisten TV-Produktionen geradezu unheimlich konzentriert zur Sache. Sechs Minuten Film müssen pro Drehtag entstehen, von sechs Uhr an wird täglich mehr als zwölf Stunden lang gearbeitet, noch im Februar soll alles im Kasten sein.

Im Mai 2010 begann Bohn die Story zu schreiben. Mit dem Drehbuch gelang es, die zwei Bundesfilmpreisträger Tidof und Lauterbach für das Projekt zu gewinnen. Letzterer las es in einem Zug durch und sagte sofort zu: "Dicht und gut durchdacht", findet Lauterbach die Story. Das Thema fasziniere ihn seit seiner Kindheit, als er davon träumte, Astrophysiker zu werden. "Eigentlich wollten wir schon vor 25 Jahren zusammen drehen", sagt Bohn und wundert sich ein wenig, dass es erst jetzt geklappt hat: "Er wohnt ja auch um die Ecke". Lauterbach lebt am Starnberger See in Münsing, Bohn zog vor fünf Jahren nach Dießen.

Wie nah Bohns Science Fiction an der Realität orientiert ist, zeigt die Reaktion der CERN-Wissenschaftler: Sie luden das Filmteam vor dem Dreh nach Genf ein. Bei der Besichtigung des Teilchenbeschleunigers diskutierte man über Urknall, Antimaterie und die Weltformel. Und vereinbarte für einen außergewöhnlichen Film eine außergewöhnliche Premierenparty: Die Welturaufführung von "Reality XL" soll im Sommer im CERN stattfinden.

Unter www.reality-xl.com sind im Internet ein Trailer und ein täglich aktualisiertes Blog zu sehen. Am kommenden Montag, 7. Februar, geben Regisseur und die vier Darsteller um 19 Uhr eine Autogrammstunde im Dießener Autohaus "Schürer".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: