Starnberg:Das Fliege-Universum

Der ehemalige Fernsehpfarrer versucht jetzt auf dem Esoterik-Markt sein Glück.

Michael Berzl

Als Fernsehpfarrer hatte er ein Millionenpublikum. Aber auch als Referent vor gut hundert Zuhörern und noch etwas mehr leeren Sitzplätzen in der Starnberger Schlossberghalle legt sich Jürgen Fliege mächtig ins Zeug. Kniet sich auch mal auf die Bühne und breitet die Arme aus, um dieses Vater-Mutter-Kind-Ding zu erklären. Reckt sich auf seinem Stuhl und streckt die Arme ganz weit nach oben, wenn es mehr ums Göttliche geht. Vor allem Frauen lauschen geradezu andächtig dem Ruhestandsparrer aus Tutzing, der eineinhalb Stunden lang bei dem Esoteriker-Treffen am vergangenen Wochenende mit bedächtiger Stimme über Vorbestimmung, Begabung und Geheiß spricht.

Starnberg Seelen To,r Fliege

"Schön, dass du da bist": Ruhestandspfarrer Jürgen Fliege nähert sich in der Starnberger Schlossberghalle auf Knien seinen Zuhörern. Foto: Treybal

(Foto: Georgine Treybal)

Und mittendrin ist er wieder ganz in der alten Form, wie man ihn von seiner vor sechs Jahren eingestellten ARD-Talkshow kannte, mit dieser Eindringlichkeit, als würde er jetzt gleich in einen seiner Fans hineinschlüpfen wollen: "Schön, dass Sie da sind". Achtsamkeit nennt man das in dem Milieu.

Überhaupt sind sie alle sehr lieb miteinander beim "Seelentor 2011", das die Starnbergerin Bärbel Schlamp nun zum dritten Mal organisiert hat. Hunderte sind zum Teil von weit her angereist; im vergangenen Jahr sollen es 700 Besucher gewesen sein. In der Szene dürfte Starnberg weit über den Landkreis hinaus mittlerweile als eine Art spirituelles Zentrum bekannt sein. "Man spricht über das Seelentor", weiß Veranstalterin Schlamp. Angesichts des wachsenden Interesses hat sie die Halle gleich für die nächsten beiden Jahre auch gebucht.

Lebenshilfe aller Art habe es am Wochenende nicht nur bei den Vorträgen mit Fliege, Penny McLean oder dem Ufologen Erich von Däniken im großen Saal gegeben, sondern auch draußen im Foyer und im kleinen Saal: Zwei Minuten Beratung für fünf Euro ("Messeangebot") zum Beispiel, der Wunderstein Tsesit für 15 Euro oder "Energiekörperbetrachtung durch inneres Sehen" für zehn Euro. Als Messe möchte Veranstalterin Schlamp das Ganze aber nicht bezeichnen, weil ihr das zu kommerziell klingt. Lieber spricht sie von einem "Ort des Bewusstseins". Verschiedenste spirituelle Spielarten sind dort zu entdecken. Da verkauft etwa eine Geistheilerin aus München handgefertigte "Design-Energiekerzen" in rosa und hellblau und versichert: "Da sind auch Licht-Essenzen drin."

Wie sie die da reingekriegt hat, verrät sie nicht: "Das ist mein Geheimnis."

Und überall ist Fliege präsent. Der 64-Jährige hat sich ein eigenes Fliege-Universum geschaffen: Es gibt das Fliege-Magazin, die Fliege-Homepage, Fliege-Reisen, die Fliege-Essenz. Bei seinem ehemaligen Arbeitgeber fällt der geschäftstüchtige Theologe immer mehr in Ungnade. Die Evangelische Landeskirche im Rheinland hat ein Disziplinarverfahren eingeleitet und weitet es möglicherweise aus, wie am Samstag bekannt wurde. Anlass ist ein Artikel in der aktuellen Ausgabe seiner Zeitschrift mit praktischen Tipps für den Kirchenaustritt. Aber Fliege wirkt unbeirrt weiter. Viele Suchende und einige der selbst ernannten Heiler werden sich am nächsten Wochenende wieder treffen, bei Flieges "3. Bad Wörishofener Herbst" mit "Top-Engelslehrerinnen". Wer nicht so weit fahren will, wird auch im Würmtal und im Fünfseenland fündig. So gibt es in Martinsried jeden ersten Mittwoch im Monat einen spirituellen Stammtisch. Jeden Donnerstagabend trifft sich in Starnberg ein Kraftkreis.

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