Starnberg:Bewegender Liederabend

Szene aus Happy Happy

Schlichte, einprägsame Bilder: eine Szene aus "Happy Happy" mit der Sopranistin Karen Vourc'h.

(Foto: Julia Hildebrand und Ingolf Hatz)

Die zweite Oper des Komponisten Mathis Nitschke, "Happy Happy", als Film im Kino Starnberg

Von Gerhard Summer, Starnberg

Das Leben ist im Grunde eine feine Sache, aber gelegentlich auch die reine Zumutung: Jeder schuftet und rackert sich ab, doch nichts geht voran, ganz so, als trete man auf der Stelle. Und wer am Morgen die Zeitung aufschlägt, würde sich gelegentlich am liebsten wieder ins Bett verkriechen: lauter Schreckensnachrichten und scheinbar nicht der Hauch einer persönlichen Chance, etwas an Klimakatastrophen, Terror und Finanzkrisen zu ändern.

Der Münchner Komponist Mathis Nitschke, der in Feldafing aufgewachsen und seit seiner Schulzeit in Tutzing mit dem längst als Lichtdesigner bekannt gewordenen Urs Schönebaum befreundet ist, hat diesem Lebensgefühl zwei Opern gewidmet. Beide sind in Montpellier uraufgeführt worden: "Jetzt", ein absurder Bilderrausch mit Nonnenchor und Astronaut, auf der großen Bühne der südfranzösischen Stadt, die Low-Budget-Produktion "Happy Happy" in der kleineren Opéra Comédie. Von diesen Schönebaum-Inszenierungen gibt es Filme. "Jetzt" war im Januar im Starnberger Kino zu sehen, der Nachfolger "Happy Happy" lief nun am Dienstag im Breitwand.

Ein Glücksfall, denn in ihrem zweiten Streich zeigen Nitschke und Schönebaum, was zeitgenössische Oper trotz des verordneten Sparzwangs vermag: einen wichtigen Stoff mit so schlichten wie einprägsamen Bildern sehr unterhaltsam, ja bewegend zu präsentieren. Denn "Happy Happy" hat, was neuen Produktionen gelegentlich abgeht: Ironie, Spannung, hohe Kontraste und den Hang zum sanften, nie verstörenden Avantgardismus. Nitschke setzt bei dieser Gratwanderung auf das Mittel der Collage. Ob es um sein Libretto oder die Musik geht - dieser Art Liederabend in 15 Nummern ist vordergründig ein fleißig zusammengesammelter Stapel aus Zitaten von Cicero bis Michel Houellebecq, von Schubert und Bach bis Verdi und Orff.

Auch die Szenen sind scheinbar assoziativ aneinandergereiht: Ein feister König steht in Unterhosen da, Männer und Frauen tragen Wolfsmasken, lange weiße Neonröhren senken sich wie gleißende Stalaktiten auf die Bühne. Bald schwenken die Sänger weiße Fähnchen und schmettern "Happy Happy", als seien sie angeheuert, ein herrlich scheinheiliges Fest zu feiern oder an einer nordkoreanischen Ehrentribüne vorbeizuziehen. Und eine Frau in Schwarz sitzt an einem Tisch und löffelt aus einem Teller imaginäre Suppe. Kaum hat sie einen Löffel genommen, trägt eine lange Reihe von Obern schon wieder einen neuen Teller auf. "Ich esse und esse und sterbe vor Hunger".

Tatsächlich aber geht "Happy Happy" übers Zitieren und Aneinanderreihen hinaus. Denn bald gab Nitschke, wie er sagte, den Ansatz auf, nur aus fremden Quellen zu schöpfen. Der mächtig dahinbrausende Titelsong, der so klingt, als wären spätromantische Blechbläser zur Fortbildung in die Disco geschickt worden, stammt genauso wie eine feine, eingängige Jazz-Ballade mit Kontrabass von ihm. Das ist das Faszinierende an dieser Oper: mit welcher Sicherheit Nitschke den passenden Klang findet, ob er Turbachöre aufbietet oder ein roboterhaftes, seelenloses Tribunal, das dem Menschen das Leben abspricht. Hypnotischer Silben- und Sprechgesang, dezent beigemischte Effekte wie Rauschen, Zirpen, Maschinengrollen und ein zu erstaunlicher Fülle aufgeblasenes kleines Orchester sind weitere Charakteristika. Ein in die Höhe zischender Ton dient Nitschke dabei als Leitmotiv, das immer wieder auch den anspruchsvollen Sologesang prägt (herausragend: Sopranistin Karen Vourc'h).

Nach diesem Abend bleibt nur eine Frage: Wann werden deutsche Opernhäuser endlich das Gespann Nitschke-Schönebaum entdecken?

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