Starnberg:Auf der Suche nach Schiffbrüchigen

Kapitän Sampo Widmann aus Starnberg ist von einem einmonatigen Rettungseinsatz im Mittelmeer zurückgekehrt - mit erschütternden Erfahrungen

Von Max Wochinger, Starnberg

Sampo Widmann hat viele Leidenschaften. Architektur, Reisen und Fotografie sind nur einige davon. Er lebt aber für die Schifffahrt. Denn Widmann ist Kapitän. Nicht auf einem Elektroboot, sondern auf dem Rettungsschiff "Seefuchs". Der Starnberger war im August für vier Wochen vor der Küste Libyens, um in Not geratene Geflüchtete zu retten.

Sobald der 74-Jährige davon zu erzählen anfängt, kann er kaum mehr aufhören. Der Kapitän hat viel zu berichten. Für die Nichtregierungsorganisation (NGO) "Sea-Eye" brach er Ende Juli zu seiner ersten Rettungsmission nach Malta auf. "Dort habe ich zum ersten Mal die anderen Crew-Mitglieder kennengelernt. Das waren Ehrenamtliche aus Deutschland, England und Italien", sagt Widmann. Als Kapitän ist er nicht nur für das Schiff verantwortlich, sondern auch für die zehnköpfige Crew. Und die musste erst einmal eingeteilt werden - auf Englisch.

Starnberg: Sampo Widmann und seine Crew fordern die europäischen Regierungen zum Handeln auf.

Sampo Widmann und seine Crew fordern die europäischen Regierungen zum Handeln auf.

(Foto: Michael Widman/oh)

Das Schiff, die "Seefuchs", kannte der emeritierte Professor für Architektur schon. Im Mai hatte er den ehemaligen Fischkutter aus dem französischen Brest nach Malta übergesetzt. "Das war ziemlich spannend. Ich habe davor noch nie ein so großes Schiff gesteuert", erinnert sich Widmann. Gut 26 Meter ist die "Seefuchs" lang. An Bord gibt es Schwimmwesten für 700 Menschen, Rettungsinseln und eine Krankenstation.

Die ersten Tage hatte das Team viel trainiert: "Seemannsknoten, Funkverkehr, wie man das Schlauchboot zu Wasser lässt oder jemanden aus dem Meer zieht", sagt der ehrenamtlich arbeitende Kapitän. Und dann kam der erste Suchauftrag des MRCC, des Maritime Rescue Coordination Centers. Die italienische Leitstelle ist für die Koordination der Seenotrettung im gesamten Mittelmeer zuständig. Bei ihr laufen alle Notrufe ein und sie vergibt die Rettungsaufträge an Schiffe, die sich in der Nähe befinden.

Starnberg: Vor der Küste Libyens suchen die Ehrenamtlichen in Not geratene Flüchtlinge.

Vor der Küste Libyens suchen die Ehrenamtlichen in Not geratene Flüchtlinge.

(Foto: Michael Widmann)

Von der Zentrale in Rom erhielt die "Seefuchs" den Auftrag, nach einem kleinen Flüchtlingsboot zu suchen. Als die Crew an der angegebenen Position eintraf, war aber kein Boot zu sehen. Auch ein Suchauftrag ein paar Tage später blieb erfolglos. "Niemand hat gewusst, was los ist. Entweder sind die Boote gesunken, oder die libysche Küstenwache hat sie zurückgebracht", so Widmann. Der Starnberger Kapitän vermutet, dass die Küstenwache aus Libyen Geflüchtete an der Zwölf-Meilen-Zone abfängt und in Haftlager überführt. Die Zustände in den Lagern seien katastrophal, meint er.

Starnberg: Die Crew-Mitglieder stammen etwa aus Deutschland, England und Italien.

Die Crew-Mitglieder stammen etwa aus Deutschland, England und Italien.

(Foto: Michael Widmann)

Die nächste schlechte Nachricht wartete dann im Hafen von Malta auf die "Seefuchs": Die international anerkannte libysche Regierung hatte eine 74 Seemeilen breite Such- und Rettungszone ausgerufen, in der sie privaten Organisationen das Fahren verbietet. "Das ist gegen das Seerecht. Diese Zone reicht in internationale Gewässer", sagt Sampo Widmann.

Trotzdem hat der Verein beschlossen, nicht weiter als 90, höchstens 80 Seemeilen an die libysche Küste heranzufahren. "Das Risiko für unsere Crew ist zu groß", sagt Hans-Peter Buschheuer, Pressesprecher von "Sea-Eye". Für Widmann ist die Ausrufung der neuen Such- und Rettungszone fatal: "Auf 90 Seemeilen sind keine Flüchtlingsboote. Die Schleuser fahren mit den Geflüchteten bis an die Zwölf-Meilen-Grenze, nehmen den Motor ab und fahren wieder zurück zur libyschen Küste. Die Geflüchteten treiben dann hilflos im Wasser. Für sie ist das der sichere Tod", so Widmann. Die Crew hatte deshalb beschlossen, ein Zeichen dagegen zu setzen, und auf Transparenten die europäischen Regierungen zum Handeln aufzufordern.

Starnberg: Kapitän Sampo Widmann brach Ende Juli zu seiner ersten Rettungsmission nach Malta auf.

Kapitän Sampo Widmann brach Ende Juli zu seiner ersten Rettungsmission nach Malta auf.

(Foto: Michael Widmann)

Wie sich die Situation im Mittelmeer entwickelt, bleibt offen. Sampo Widmann jedenfalls fliegt gegen Ende des Monats wieder nach Malta. "Wir machen weiter. Wir sind die moralische Institution."

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