SZ-Schulratgeber:Leistung ohne Zeitdruck

Auf Gut Biberkor in Berg steht die einzige Montessori-Schule Bayerns mit Gymnasium. Ein ehrgeiziges Projekt, das mit vielen Widerständen kämpfen musste

Von Sabine Bader, Berg

Als David (Name geändert) nach Biberkor kam, war er sieben und furchtbar schüchtern. Am liebsten verzog er sich unter einen Tisch. David hat ein Downsyndrom. Schreiben und lesen kann er nicht, aber, und das sagt ein Mitschüler über ihn, "er malt dafür so schöne rote Kreise". Schnell werden aus den Kreisen Elefanten. Nie davor und danach hat eine Klasse an der Schule schönere Elefanten als diese gemalt. Quasi unter Davids Anleitung.

Was so banal klingt, zählt zu den Geheimnissen der "Montessorischule für alle" - von der Kinderkrippe bis zum Abitur. Hier wird nicht gefragt, was ein Schüler nicht kann, sondern wo seine Stärken liegen. Müßig zu erwähnen, dass David auch vieles andere in seinem Schulleben auf Biberkor gelernt hat.

Seit 2001 gibt es Bayerns bislang einziges Montessori-Gymnasium auf Gut Biberkor - danach folgten Grund- und Hauptschule, Kindergarten und im vergangenen Jahr schließlich die Kinderkrippe. Mit 22 Schülern war man vor 14 Jahren an den Start gegangen. Jetzt tummeln sich 473 Schüler in Schulgebäuden mit insgesamt 5800 Quadratmetern, 38 Kinder besuchen den Montessori-Kindergarten und zwölf die Krippe. Und Biberkor wächst weiter. Gerade wird der Grundschulneubau errichtet. Geplant sind noch ein sogenanntes Inselhaus, in dem man Kindern und Jugendlichen aus zerrütteten Familien langfristig ein neues Zuhause geben will, eine Kapelle sowie Schuppen für Hühner, Hasen, Schafe und Pferde. Der Umgang mit Tieren ist Teil des Konzepts der Schule. Angedacht ist auch ein Bereich für Hundetherapie. Zudem sollen die Schüler eine kleine Landwirtschaft selbst bewirtschaften, das selbst gezogene Gemüse könnte in der Schulküche Verwendung finden. Seit kurzem residiert im alten Gutshaus auch das Institut für ganzheitliches Lernen. Die Montessori-Bildungseinrichtung für Erwachsene hatte ihren Sitz bislang am Tegernsee, jetzt ist sie nach Biberkor gezogen. "Das ist für uns ideal", sagt die pädagogische Geschäftsführerin Kathrein Wilms-Wöltje. Die Seminarteilnehmer der Akademie kommen vorwiegend an den Wochenenden, wenn kein Schulbetrieb ist. Auch Übernachtungsmöglichkeiten soll es für sie in den alten Klosterräumen geben. Alles in einer Hand, oder besser: in einem Gut, lautet die Devise. Das ist übrigens seit gut zehn Jahren eine Baustelle. Aber das stört hier offenbar keinen wirklich, Sandhaufen und Gerüste gehören einfach dazu. Biberkor ist schließlich immer im Werden.

Höhenrain Gut Biberkor, Montessori Schule

Wer in der Schule lernt, der gehört einer großen, gemeinsamen Familie an.

(Foto: Georgine Treybal)

Die Schule versucht laut Wilms-Wöltje generell durchlässig zu sein - so durchlässig, wie es das bayerische Schulsystem gerade noch zulässt. Denn Gesamtschulen gibt es in Bayern nicht. Die Kinder müssen hier in unterschiedliche Schularten eingeteilt sein. Trotzdem: Jeder nach seinen Fähigkeiten, ist die Devise von Biberkor. Wie diese aussehen, das gilt es zu erkunden. Wenn beispielsweise ein Kind als Hauptschüler eingestuft ist, aber nach einer Weile feststellt, dass ihm das Lernen gar nicht so schwer fällt und es gerne Abitur machen will, dann "ist das einfach toll". Genauso "eine Erfolgsgeschichte" ist es aber für Wilms-Wöltje, wenn ein Schüler, dem alles nur so zufliegt und der auf dem Gymnasium ist, entdeckt, dass er gerne Schreiner werden und nicht studieren will. "Auch das ist bestens."

Im vergangenen Jahr haben übrigens alle Schüler, die auf Biberkor ihren Abschluss gemacht haben, diesen auch geschafft - egal ob es der Quali war, die mittlere Reife oder das Abitur. Für die Prüfungen müssen die Biberkor-Schüler immer an eine staatliche Schule gehen. Was es für sie nicht einfacher, sondern schwieriger macht, schließlich ist man dort in fremder Umgebung und unter Menschen, die einem ebenfalls fremd sind. Das ist auch der Beweis dafür, dass Inklusion durchaus funktioniert und das Klassenniveau nicht sinkt, wenn behinderte und nichtbehinderte Schüler gemeinsam unterrichtet werden. Es kommt eben auf das Unterrichtskonzept, die Klassengröße und die Anzahl der Lehrkräfte an. Derzeit werden in Biberkor 40 Kinder mit Förderbedarf quer durch alle Jahrgangsstufen unterrichtet, das sind 8,3 Prozent der Schüler.

Das Erfolgsmodel von Biberkor ist vielleicht auch ganz einfach zu erklären: Kinder, Eltern und Lehrer identifizieren sich mit der Schule, die für einen Zeitraum ein wichtiger Teil ihres Lebens ist. Apropos Zeit: Die Oberstufe kann man auf Biberkor in zwei Geschwindigkeiten machen, je nachdem, wie leicht einem das Lernen fällt, oder wie viel Zeit man sich dafür gönnt. "Manche sind sehr gut und lassen sich trotzdem drei Jahre Zeit", sagt Wilms-Wöltje. Um das Thema Zeit geht es auch bei der diesjährigen Pädagogischen Trilogie, einer Montessori-Veranstaltungsreihe. "Zeit für Bildung - das Lernen entschleunigen", lautete kürzlich der Titel der Podiumsdiskussion. Das Motto: Kreatives Lernen braucht Freiheit, Zeit und Muße. Doch, "wir wollen schon Leistung. Es klappt bei uns nicht, sich möglichst dünne zu machen", stellt Wilms-Wöltje klar. "Es ist nur die Frage, was Leistung ist?"

Bildung kostet bekanntlich auch. "Das Geld bleibt für Privatschulen immer ein großes Problem", räumt die Pädagogin ein. Nicht nur, weil man die Lehrergehälter und das ganze Drumherum bezahlen muss. Auch die staatlichen Fördergelder flossen in der Vergangenheit meist nicht so, wie zugesagt. 580 Euro monatlich, Mittagessen und Schulbus inbegriffen, muss aufbringen, wer sein Kind nach Biberkor schicken will. Ein Batzen Geld, unbestritten. Als Eliteschule will man dennoch nicht gelten. Weit mehr als 30 Prozent der Eltern zahlen nur ein reduziertes Schulgeld oder gar keines. "Wir entscheiden erst, ob wir ein Kind nehmen. Und wenn die Eltern dann sagen, sie können nicht zahlen, behalten wir das Kind trotzdem", sagt Wilms-Wöltje.

Biberkor Montessori Schule

Immer im Bau, immer im Werden: das ist die Montessorischule auf Gut Biberkor in Berg.

(Foto: Georgine Treybal)

Eine prominente Fürsprecherin hat man auch: die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser Schnarrenberger. Als Feldafingerin hat sie die Entstehungsgeschichte der Schule praktisch hautnah mitbekommen - und alle Widerstände, mit denen die Initiatoren zu kämpfen hatten, natürlich auch. Seit Januar gehört Leutheusser-Schnarrenberger auch dem Aufsichtsrat der Schule an, die ohne Zweifel auch nach 13 Jahren noch ein spannendes Projekt ist - nie wirklich fertig und vielleicht gerade deshalb charmant und zum Vorzeigen geeignet.

David ist übrigens schon seit drei Jahren nicht mehr auf Biberkor. Er hat seinen Abschluss gemacht und kann heute schreiben und lesen.

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