Filmemacher Walter Steffen:Ansteckendes Glück

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Steffen beim Dreh: Der Filmemacher mit Kameramännern. (Foto: Manfred Lehner/oh)

Der Seeshaupter zeigt am Freitag auf dem Filmfestival seine Doku über deutsche Willkommenskultur, "Happy Welcome"

Von Christine Setzwein, Seeshaupt

Der Bub ist nicht willkommen, das lassen sie ihn spüren. Er weiß, dass die anderen Kinder hinter den Ecken auf ihn lauern, auf den Fremden, dessen einziger Makel es ist, nicht in Oberstdorf geboren zu sein. Ein Flüchtlingskind, das nicht dazugehört, die Mutter aus Swinemünde, das heute Świnoujście heißt, der Vater, ein Deserteur aus Berlin, noch dazu sind sie alle protestantisch. Diese Familie verschlägt es nach dem Zweiten Weltkrieg in den südlichsten Teil Deutschlands, ins tiefste katholische Allgäu der 1950er-Jahre. Heute, im Jahr 2015, sind Flucht und Vertreibung wieder ein Thema für Walter Steffen. An diesem Freitag feiert sein Film "Happy Welcome" Uraufführung.

Irgendwie ist das Fünfseen-Filmfestival ohne Steffen gar nicht mehr vorstellbar. Ob "Bulldogs", "Netz & Würm - Fischergeschichten vom Starnberger See", "Endstation Seeshaupt", "Gradaus daneben", "München in Indien" oder "Bavaria Vista Club" - alles Dokumentarfilme, die ihre Premiere in Starnberg hatten. Es sind Filme, aus denen die starke Liebe des Seeshaupters zur Heimat spricht, Filme, die sich viel Zeit lassen, die Heimat im Alltäglichen und Verborgenen aufzuspüren.

Der Drehbuchautor und Regisseur lernt das Filmhandwerk von der Pike auf. Er volontiert bei seinem großen Vorbild Michael Verhoeven, der in diesem Jahr Ehrengast des Fünfseen-Filmfestivals ist. Aber Steffen, heute 60 Jahre alt, studiert nicht nur das Handwerk, sondern auch das Leben. Nach dem Abitur "war ich Skilehrer, Hüttenwirt, Hafen- und Fabrikarbeiter, Landvermesser, Bühnenarbeiter, Trucker und Filmbeleuchter", erzählt er. Dabei verliert er das Ziel, Stücke fürs Theater und Fernsehen zu verfassen, nie aus den Augen. Dass er zum Film will, ist für ihn schon mit sechs, sieben Jahren klar, sagt er. Er habe als Kind so stark geträumt, dass er Traum und Wirklichkeit oft nicht mehr auseinander halten konnte. "Meine Eltern haben sich damals schon Sorgen um mich gemacht", erinnert er sich. Heute ist Steffen überzeugt davon, dass man nur das gut beschreiben oder filmen könne, was man selbst erlebt hat.

Drei Jahre lang macht er ein Praktikum an den Münchner Kammerspielen, bei diversen Film- und Fernsehproduktionen ist er Volontär, Fahrer, Aufnahmeleiter und Regieassistent. 1985 beginnt eine enorme Schaffensperiode. Um die 50 Drehbücher entstehen bis in die 1990er-Jahre, viele zusammen mit Steffens Co-Autor Manfred Birkl. Die erfolgreiche Fernsehserie "Edel & Starck" haben die beiden erfunden. Sie dachten sich Folgen für "Der Clown" und die "Rosenheim-Cops" aus. Aber dann, sagt Steffen, "war ich ausgeschrieben".

2007 markiert den Umbruch. "Ich wollte wieder Filme machen. aber nur noch Stoffe, die Sinn machen über die Unterhaltung hinaus." Also Dokumentarfilme. Im Herbst 2008 startet "Bulldogs - Traktorgeschichten vom Starnberger See", eine Hommage an die alten Maschinen und ihre Besitzer.

Und jetzt also "Happy Welcome". Der Film über die "Clowns ohne Grenzen" hätte eigentlich schon längst fertig sein sollen. Steffen wollte die Clowns Andreas J. Schnatz, Georgia Huber, Miriam Brenner und Stefan Knoll, die in die Krisengebiete der Welt fahren, schon vor drei Jahren in den Iran begleiten. Doch zuerst erhielt er kein Visum, beim zweiten Versuch verhinderte eine Erkrankung die Reise. Aber für Steffen passiert nichts, was nicht hinterher einen Sinn ergeben würde. Als er wieder auf den Beinen war, kündigten die Clowns an, dass sie auf Deutschlandtour gehen würden. Was auch Sinn macht, "denn die Krisengebiete kommen zu uns".

Und so begleiteten Steffen und sein Team mit Mikrofon und Kamera sieben Tage lang die Clowns in acht Aufnahmeeinrichtungen und Heime für Flüchtlinge. Hunger, Durst, Schlaf, ein Dach über dem Kopf - Menschen, die nur ihre Primärbedürfnisse erfüllen können, "können nicht überleben", da ist sich Steffen sicher. Die Clowns ohne Grenzen geben ihnen mehr, viel mehr: Humor, Lebensfreude, Mitmenschlichkeit und Liebe. Alltagssituationen werden spielerisch aufgelöst, zeigen ein Licht am Ende des Tunnels. Das Roadmovie erzählt aber auch von Treffen mit Helfern, Mitarbeitern und engagierten Bürgern in den jeweiligen Auftrittsorten und wird so zu einer Bestandsaufnahme unserer Willkommenskultur. Den Sinn von "Happy Welcome" sieht Steffen in der Beantwortung der Frage, "wie man Empathie erzeugen kann". Zum Beispiel mit Humor.

Bei den Auftritten der Clowns erfahren die Menschen Glück, "und Glück ist ansteckend". Auch Steffen ließ sich anstecken: "Diese Woche war die glücklichste in meinem Leben."

Der Dokumentarfilm "Happy Welcome" läuft an diesem Freitag um 19.30 Uhr in der Schlossberghalle Starnberg und am Sonntag, 9. August, um 20.15 Uhr, im Kino Breitwand in Herrsching.

© SZ vom 07.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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