Seeshaupt:Anarchistische Staatsbürgerkunde

Henning Venske im alten Kino

Kein Kabarettist, sondern der Altmeister unter den Satirikern: Der 78-jährige Henning Venske.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Wenn Henning Venske vom Leder zieht, bleibt kein Auge trocken. Oder es herrscht betretenes Schweigen: So sarkastisch und böse sind manche Wahrheiten, die er dem Publikum um die Ohren haut

Von Armin Greune, Seeshaupt

Es ist ja nicht so, dass die Zuhörer nicht gewarnt sind. "Das wird ein schwerer Abend für Sie", kündigt Henning Venske zu Beginn an - und tatsächlich haut er nach der Pause dem Publikum so sarkastische, böse Wahrheiten um die Ohren, dass die Lacher zu einer Art Schnappatmung schrumpfen, bis als Reaktion nur noch betretenes Schweigen bleibt. Da sagt der 78-Jährige so Dinge wie: "Wir müssen Diktatoren mit Waffen versorgen, damit sie uns die Flüchtlinge vom Hals halten." Oder: "Banker verhalten sich wie Drogenkartelle: schweigen, vertuschen, weitermachen". Oder er rechnet nach, dass Vater und Sohn Bush bei ihren Kreuzzügen im Nahen Osten 1,5 Millionen Leichen hinterlassen haben - dagegen hätten "die islamischen Extremisten mit knapp 4000 Opfern praktisch nichts geleistet."

Natürlich lässt Venske seine "anarchistische Staatsbürgerkunde" so nicht ausklingen und die etwa 40 Gäste in der "Seeresidenz Alte Post" dürfen gegen Ende um so befreiter und lauter auflachen, wenn sich die graue Eminenz unter Deutschlands Nestbeschmutzern durchs Fernsehprogramm zappt. Wo Tausende Köche Hot Dog oder Tafel-Spitz endlich auch mal beim Wort nehmen, das Wetter von Kräuterbonbons präsentiert wird und deutsche Leitkultur generiert, wenn Til Schweiger Veronika Ferres spielt.

Aber eigentlich geht es in Venskes Programm "Satire - gemein, aber nicht unhöflich" um Grundsätzliches: Es ist vor allem eine Art Basisseminar zu dieser besonderen literarischen Kunstform. Folglich zitiert der Mann auf der Bühne Goethe und Schiller, Jonathan Swift, Jean-Jacques Rousseau und Charles Darwin. Heinrich Heine sah in der Satire eine Selbstverteidigungswaffe in Verfolgungsnöten. Und Venske wehrt sich gegen Verdummung und Propaganda (für ihn das Gegenteil von Satire) derart vehement, virtuos und scharfzüngig, dass es eine Lust ist, ihm zuzuhören. Auch wenn's manchmal weh tut. Mit silbernem Scheitel und silbernem Schnurrbart hockt Venske hinter einem Stehpult und zündet von dort aus gelassen, aber im gestreckten Galopp sein Pointenfeuerwerk. Das Tempo des Hanseaten wird dabei oft so rasant, dass der von Natur aus gemächlichere Bayer immer wieder fürchten muss, den Anschluss zu verlieren - für ausgiebigere Lachanfälle bleibt definitiv keine Zeit. Das Ganze wird mit reduzierter Mimik und noch spärlicherer Gestik vorgetragen. Keine Musik, keine Maske, keine Kostümierung, keine Requisite: Venske ist schließlich nicht Kabarettist, sondern Satiriker. Als solcher hat er sich immer wieder in den Rundfunkanstalten der Republik Haus- und Sendeverbote eingehandelt - und seine Brötchen dann halt als Schauspieler, Moderator oder Autor verdient: Venskes geschriebenes Werk reicht vom Kinderbuch bis zur Mitarbeit an vier Sachbüchern über Wirtschaftskriminalität; er war Regisseur der Münchner Lach- und Schießgesellschaft und Chefredakteur des Satiremagazins "Pardon". Er sei nicht deprimiert, ließ er in Seeshaupt wissen, sondern niedergeschlagen. Aber immerhin gelingt es ihm noch scheinbar mühelos, die Widersacher verbal auszuknocken. Im "spannendsten Teil, den Beleidigungen" charakterisiert er etwa Ursula von der Leyen fast schon liebevoll als "leere Blumenvase auf einem Tisch, an dem schlecht gegessen wird". Doch wer 130 Milliarden für Mordinstrumente fordert, sollte sich doch endlich "von der Kriegsgräberfürsorge ein neues Hirn spendieren lassen". Es müsse ja nicht groß sein, Kaliber 9 Millimeter wie beim Vorgänger von Guttenberg reiche völlig.

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