Seefeld:Wahnsinn!

Seefeld: Aufgepasst: Kabarettist Hagen Rether kommt in seinem blitzgescheiten Monolog "Liebe" gelegentlich ins Dozieren.

Aufgepasst: Kabarettist Hagen Rether kommt in seinem blitzgescheiten Monolog "Liebe" gelegentlich ins Dozieren.

(Foto: Arlet Ulfers)

Kabarettist Hagen Rether zeigt in seinem ausufernden Monolog "Liebe", dass die Menschheit völlig außer Rand und Band ist

Von Gerhard Summer, Seefeld

Der Mann im dunklen Anzug ist tiefenentspannt. Hagen Rether fläzt in einem Bürosessel mit Armlehnen, daneben steht sehr schwarz ein Flügel mit Bananen drauf. Gelegentlich nimmt er einen Schluck Wasser, ansonsten spricht er ohne Unterlass und fast im Flüsterton über all den Irrwitz, die menschliche Inkonsequenz, den Selbstbetrug, die Doppelmoral und Scheinheiligkeit, die grauenhafte Massentierhaltung und darüber, dass die Perversion heute das Normale ist. Ganz so, als führte er ein Selbstgespräch.

So leise reden sonst nur gefährliche Leute im Fernsehen. Heisere Mafiabosse zum Beispiel. Vielleicht auch Konzernchefs, kurz bevor sie 1000 Leute entlassen. Und eben Rether, der blitzgescheite Aufklärer und Moralist, aus dem es im Seefelder Pfarrhaus Peter und Paul nur so heraussprudelt. Aber der ist nicht gefährlich, oh nein. Der Mann ist ein Segen, weil er in seiner ausufernden Gesellschaftsanalyse so elegant auf den Punkt bringt, was sich vielleicht jeder schon mal gedacht hat: dass diese Menschheit völlig außer Rand und Band ist und sich selbst so lange in die Tasche lügt, bis alles am Boden schleift.

Seit 14 Jahren ist der Essener, der gern "in einem Geberland" wie Bayern ist und diese "Sattheit" am Ammersee bewundert, nun mit seinem immer wieder variierten Programm "Liebe" unterwegs. Inzwischen ist er bei Folge 6. Fast vier Stunden dauert so ein Auftritt, am Ende spielt der studierte Pianist gern ein Medley und verteilt Bananen ans durchgerüttelte Publikum. Allein die Gedächtnisleistung ist bemerkenswert, noch dazu bekommt der 47-jährige diesen rhetorisch glänzenden Sermon fast ohne jeden Versprecher hin und erweist sich als Großmeister des Vergleichs.

Seine Gardinenpredigt hat sich gewaschen, er lässt weder den Papst aus, der in dem mit Aids kämpfenden Afrika Kondome verbietet, noch den Alkoholismus und die Winzer, die in anderen Ländern "Drogenbarone heißen". Die Unterredung zwischen Trump und Merkel? "Klassenschläger trifft Vertrauenslehrerin". Bodo Ramelows NPD-Protest? "Früher hat man ein Verdienstkreuz bekommen, wenn man Nazis gestört hat, heute kommst du vor Gericht." Der Islamische Staat? "Gemessen an dem, was unsere Großeltern gemacht haben, ist der IS ein Montessori-Kindergarten". Konsequenz? "Bei den anderen sind wir immer Oberlehrer, den eigenen Wahnsinn nimmt man hin wie ein Naturereignis." Gelungene Integration? "Wenn du aus einem jungen Marokkaner einen guten Puffgänger machst." Und Religionen? "Ein einziger feuchter Männertraum."

Andere Kabarettisten verstecken sich hinter Ironie und Parodien und lästern über faule und dumme Politiker. Rether spart sich das. Er redet Klartext, bezieht Position und windet sich nicht humorig raus, auch auf die Gefahr hin, dass man ihn festlegen kann. Ja, er ist veganer Atheist. Wahrscheinlich einer von den "Multikulti-Öko-Spinnern". So ein Linksliberaler, der womöglich auch noch die Grünen wählt und der Ansicht ist, dass sich was ändern ließe, wenn jeder Fair-Trade-Produkte kaufen und Veganer werden würde. Andererseits, ist es nicht so, dass sich die Ideen dieser angeblichen Spinner dann doch mit zehn Jahren Verzögerung durchsetzen? Umetikettiert zwar, aber immerhin.

Ist so ein schonungsloser Rether-Monolog also lustig? Na klar, jedenfalls zwischendrin, denn Rether hat feinen Humor. Er erklärt dann, dass man einen Pass braucht, um den Fernsehsender Arte unverschlüsselt sehen zu können, den Arte-Ausweis, den man gar nicht so leicht kriegt. Was auch für den Guido-Knopp-Ausweis gilt. Er behauptet, die Geheimdienste hätten rausbekommen, dass Obama in Wahrheit Günter Wallraff ist, der Enthüller. Er macht Scherze über die 72 Jungfrauen, die angeblich auf Selbstmordattentäter warten ("was meinst du, wie lange das morgens im Bad dauert"). Er spricht darüber, dass es die Vorhaut Christi sieben Mal in der Welt geben soll, die echte aber in den Himmel aufgefahren sei und nun die Saturn-Ringe bilde. Jedenfalls gibt es Leute, die das glauben. Und seine Reklame für seine CDs ist schönste Anti-Werbung.

Natürlich ist dieser frenetisch beklatschte Abend mit gewaltigen Längen auch eine einzige Zumutung. Rether muss ja alles durchdeklinieren. Vielleicht ist das auch gar kein Kabarett mehr. Aber andererseits kann sich das Kabarett glücklich schätzen, wenn es von einem so hellsichtigen Mahner über den Haufen geworfen wird.

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