Seefeld:Rätselhafte Liebe

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Musikalische Lesung der Briefe von Felix und Fanny Mendelssohn

Von Reinhard Palmer, Seefeld

Durch einen Zufall seien sie Geschwister geworden, schrieb Fanny an ihren Bruder Felix Mendelssohn in einem Brief - in einem von Hunderten, die sie sich ihr Leben lang schickten. Was hätten sie sonst werden sollen? Geliebte? Oder ein einziger Mensch in einem Körper? Dieses Geschwisterverhältnis wird ein Rätsel bleiben und nicht zuletzt deshalb ist das Interesse an den beiden Komponisten so groß. Auch das Sudhaus war am Sonntagabend gut gefüllt, als Ingrid Storz und Peter Weiß aus den Briefen lasen, während Kazue Weber-Tsuzuki am Flügel die Aussagen musikalisch untermauerte.

Das intensive Verhältnis der hochbegabten Geschwister blieb freilich an gesellschaftliche und kulturelle Standards gebunden. "Ein Weib taugt nicht für Druckerschwärze", konstatierte etwa Felix, als es darum ging, Fannys Werke zu publizieren. Trotz seiner Intelligenz und Bildung konnte der jüngere Bruder doch nicht über seinen Schatten springen. Oder fürchtete er, Fanny könnte ihm die Schau stehlen? Storz gab die Lobeshymnen der auf ihren Bruder - Geliebten? - so stolzen Fanny mit bedingungsloser Euphorie und auch im Erwachsenenalter mädchenhafter Frische und Verehrung wieder. Weiß wahrte indes männliche Distanz, sind doch die Briefe des Bruders herber, ja bisweilen streng im Ton.

Beide ließen sich ihre Kompositionen vom jeweils anderem beurteilen, bevor sie in die Welt entlassen wurden. Doch auch ihre Bemerkungen zu Kunst und Gesellschaft zeugen von hoher humanistischer Bildung. Fanny brannte auf Nachrichten von Felix über Begegnungen mit Goethe in Weimar oder vom Musikleben in der Kulturmetropole Paris. Die Seelenverwandtschaft ist auch in der Musik feststellbar. Was daran liegt, dass Fanny vor allem über die Kompositionen ihres Bruders intellektuellen Zugang zur Musik fand. Seine Partituren seien sehr schwer, klagte sie 1834. In ihren Stücken ist denn auch ein Hang zu größerer Klarheit und Transparenz festzustellen, während für Felix immer Virtuosität ein Thema ist. Dennoch waren etwa die Lieder ohne Worte op. 19, 30, 67 und 85 von Felix Mendelssohn, aus denen Weber-Tsuzuki eine Auswahl mit emotionaler Intensität vortrug, zweifelsohne direkte Vorbilder für die Lieder ohne Worte op. 6 und die "6 Mélodies pour le piano" op. 5 von Fanny Mendelssohn. Alle diese Werke zeigen einen ausgeprägten Sinn für melodische Schönheit und schwärmerischen Impetus von aufwühlender Leidenschaft.

Die Auswahl der Musik zielte deutlich auf die Gemeinsamkeiten der komponierenden Geschwister ab und unterstrich die innige Verbindung. Zwar hatte Felix durchaus mehr Übung, seine Stücke sind harmonisch raffinierter und changieren reicher in der Charakternuancierung. Fannys Stärke aber findet sich im unbeschwerten Gesang und in der schwungvollen Leichtigkeit des Klaviersatzes. Zum Glück publizierte sie doch einige Werke und sicherte sie damit für die Nachwelt - auch wenn Fanny zuvor brav nach dem Segen des Bruders fragte. Dass er ihr im Abstand von nur wenigen Monaten in den Tod durch Schlaganfall folgte, mystifiziert dieses Paar nahezu. Auch das Seefelder Publikum ließ sich von diesem Rätsel fesseln und erklatschte sich schließlich ein Frühlingslied von Felix als Zugabe.

© SZ vom 08.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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