Seefeld:Mitreißende Tagträumerei

FEU Seefeld Sudhaus Jazz

Die Wucht: Ingrid Jensen (hier bei einem früheren Auftritt in Seefeld).

(Foto: Georgine Treybal)

Saxophonist Tobias Meinhart mit exzellenter Jazzband im Sudhaus des Seefelder Schlosses

Von Reinhard Palmer, Seefeld

Offenbar ist der gebürtige Regensburger Tobias Meinhart nicht nur ein herausragender Tenorsaxophonist, sondern auch gut mit der New Yorker Jazzszene vernetzt. Das Quintett, das er auf Promotion-Tour für die neue CD "Silent Dreamer" ins Sudhaus des Seefelder Schlosses mitgebracht hatte, besteht aus Spitzenmusikern, die aus aller Herren Länder nach New York gegangen sind, um Teil der Jazzlegende zu werden. So der spanische Pianist Yago Vazquez, der britische Kontrabassist Phil Donkin und der kalifornische Schlagzeuger Jesse Simpson. Die großartigste Musikerin der Band war zweifelsohne die kanadische Trompeterin Ingrid Jensen. Nach ihrem Studium auf dem Berklee College of Music wurde sie mit 24 Jahren die jüngste Professorin in der Geschichte des Bruckner-Konservatoriums in Linz, bevor sie nach New York ging, um mit den größten Jazzmusikerin unserer Zeit zu konzertieren.

Was Jensens Spiel so besonders macht, ist zunächst einmal ihre großartige Technik, die ihr viele Möglichkeiten eröffnet. Vor allem die effiziente Atemnutzung, mit der sie schier endlose Läufe und Tongirlanden kreiert. Dabei ist Jensen überaus einfühlsam, formt in ihren virtuosen Improvisationen dramaturgische Entwicklungen, die meist mit chromatischem Herantasten an die harmonischen Möglichkeiten beginnen, bevor Jensen wirbelnd Fahrt aufnimmt, um in schwindelerregendem Tempo Klangwolken aufzuwirbeln. Ihre Geläufigkeit hat dabei grandioses Ebenmaß und Präzision, selbst in den wildesten Steigerungen, die bis zu aufheulenden Glissandi reichen können.

Meist blieb Jensens Spiel im Seefelder Sudhaus dennoch innerhalb einfühlsamer Parameter und schönmusikalischer Modellierung, die auf einen überragenden Lippenansatz verweisen. Kurios wirkte indes Jensens Fingertechnik an den Ventilen, die schon etwas vom pianistischen Anschlag mit entsprechend wogender Armbewegung hat. Ähnlich wie am Klavier half sie offenbar, die plastische Formung unter einen weiten Bogen zu spannen.

Meinhart überließ Jensen gerne die Abendregie, bestach ihr inspirierendes Gestalten im Ensemble doch durch lässige Virtuosität und gekonnte Selbstverständlichkeit. Die Trompeterin bewies auch ein gutes Ohr für besondere Wirkungen, die aus unkonventionellen instrumentalen Kombinationen hervorgingen. Wie etwa ihr Trompetenspiel in den Flügelkorpus bei gedrücktem Pedal des Pianisten, was die von Vazquez angeschlagenen Akkorde mit hallenden Obertönen anreicherte.

Meinhart stand Jensen in Sachen Einfühlsamkeit kaum nach, selbst in mit ihr unisono vorgetragenen Themen, die meist mit packender Kraft zu zweistimmigen Duetten ansetzten. "Silent Dreamer" war durchaus wörtlich zu nehmen, ging es doch hauptsächlich um ausschweifendes Sinnieren irgendwo zwischen Bebop und Swing, das Meinhart mit charaktervollem Saxophonklang allerdings auch schon etwas nachwürzte. Die musikalische Poetik vertrat in besonderer Weise Vazquez, dessen Soli weit über der rhythmischen Unterlage zu schweben schienen. Eine psychodelische Tönung kam vom Klang der Schlagzeugbecken her, die Simpson selbst baut, sie auch explizit auf einen besonderen Klang abstimmt. Simpsons und Donkins' konsequenter Drive blieb kein Dogma: In den Soli nahmen beide Rhythmiker auch inspirierende, die Melodik ausbreitende Höhenflüge auf.

Abgesehen davon, dass das Quintett nicht ausschließlich Stücke der neuen CD spielte und auch Kreationen der Mitspieler wie etwa "Landings" von Jensen oder "Still" von Vazquez ins Programm aufnahm, ging es auch in den Silent-Dreamer-Stücken nicht betulich zu. Meinhart dachte in "Fighting for fears" oder "Mariana's dream" wohl an Tagträumer, die schon bisweilen recht leidenschaftlichen, behutsam aufwühlenden Visionen nachhingen. Die Zugabe vom kanadischen Jazzer Kenny Wheeler nach frenetischem Applaus legte noch einmal mit satter Klangfülle und einem ekstatischen Trompetensolo einen Gang zu.

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