Seefeld:Irrwitzige Typen aus Fleisch und Blut

Seefeld: Kabaretist Andreas Giebel

Gesegnet mit aberwitziger Fantasie: Andreas Giebel bei seinem Auftritt in Seefeld.

(Foto: Nila Thiel)

Andreas Giebel zeigt in "Das Rauschen in den Bäumen" groteske Kabarett- und Schauspielkunst

Von Gerhard Summer, Seefeld

Den Karl-Dingshammer-Platz darf man sich so ähnlich vorstellen wie Stonehenge, nur deutlich schräger und bewohnt. Es gibt einen Kiosk, einen Lindenbaum und eine Eckkneipe namens Wesereck. Außerdem eine Drogerie, die Arztpraxis von Dr. Perrenkter, in der Andreas Giebel als einziger Kassenpatient gern zwei, drei Stunden wartet und nachdenkt, und natürlich den Blumenladen von Fräulein Lydia, einer sehr aparten Person mit roten Haaren. Lydia kann recht forsch sein ("ein Strauß für die eigene Frau oder für was Frisches?"), manchmal auch ziemlich ruppig. Keine Frage, Giebel hat sich in sie verliebt.

Nur deshalb also ließ er sich von Max Globowatz, dem Akt-Pointillisten, nackt malen, erst als griechischer Pan mit Flinte statt Flöte, dann als römischer Feldherr nach der Schlacht, und zwar mit Weintrauben. Giebel hofft nämlich, dass sein Bild eines Tages neben dem von Lydia hängen wird, dass er und die Schöne beim wechselseitigen Betrachten der Gemälde ins Gespräch kommen und aus dem "Pflänzchen der Zuneigung eine Plantage wird". Was Männer halt so denken, wenn sie sonst nicht viel zu tun haben, außer vielleicht einen Roman zu schreiben.

"Das Rauschen in den Bäumen" heißt Andreas Giebels immer wieder aktualisiertes Programm, mit dem er nun auch schon eine Weile durch die Lande zieht. Im Grunde genommen ist es mehr als Kabarett, was der Schauspieler ("München 7", "Rosenheim Cops") im gesteckt vollen Seefelder Pfarrhaus Peter und Paul zeigt. Es kommt nämlich noch, wie früher bei Bruno Jonas, eine ganze Fuhre Theater und die Lust am grenzenlosen Überdrehen dazu. So ist das Stück rund um den Karl-Dingshammer-Platz schrille Vorstadtkomödie, Alt-Münchner Milieu-Studie und irre Typenparade in einem. Und die schönsten Momente dieser Stadtviertel-Groteske erreicht Giebel, wenn er seine aberwitzige Fantasie wuchern lässt. Die Nummer mit dem Rewe-Markt ist einer dieser Höhepunkte: Der Laden wird zum Irrgarten, der Einkauf zur Höllenfahrt. Giebel macht immer wieder Station bei Probierverkäufern, nimmt hier etwas Kieler Sprotten und Parmaschinken, da einen kleinen Schluck Küstennebel und Calvados, bis er sich mit seinem Einkaufswagen an einem imaginären Laufband verhakt, mysteriöse Stimmen aus der Ferne hört und am Ende feststellt, dass er gerade neun Kilo Tomaten gekauft hat. Mindestens so schräg sind seine Extempores, beispielsweise die These, dass Politiker bei wichtigen Verhandlungen genauso wie Gäste und Moderatoren in Talkshows Windeln tragen, weil sie anders als bei der Oscar-Verleihung keine Notdurft-Komparsen haben und stundenlang ausharren müssen. Michel Friedman, sagt Giebel, bekomme bei Sandra Maischberger schon mal dieses "nach innen gewandte Lächeln", dann wisse jeder: "Den darf ma' nicht stören, der lässt's grad laufen". Und das Gemeine daran ist natürlich, dass jeder dieses Friedmansche Lächeln kennt.

Giebel lässt bis zur Pause mindestens 14 Leute aufmarschieren, er schafft das mit minimalem Aufwand, weil er ein exzellenter Schauspieler ist. Mal kurz die Haare zerrauft - schon ist er Antonio Graziano, der wild philosophierende Italiener mit ächzender Stimme. Oder: Den Kopf auf die Brust gelegt, den Raucherhusten imitiert - sofort sitzt da unterm Lindenbaum der Penner-Klaus, der mit seinem Zuhörer so gern Melodieraten macht, heiser eine völlig undefinierbare Melodie runtersäbelt und dazu mit einer Hand dirigiert. Giebel sagt dann: "Wart, wart, sag nix: AC/DC, 'Highway to hell'". Oder: "Ray Charles, 'Georgia on my mind'". Und der Penner-Klaus signalisiert immer Zustimmung.

Das Schöne an Giebels Kabinett ist, dass es so gut wie ohne Klischees auskommt. Die linksstrickende Naturkostliesl kommt genauso wenig vor wie der Fitness-Studio-Adonis. Nein, diese Typen sind aus echtem Fleisch und Blut, der Kioskbesitzer Döderlein genauso wie der einstige Ehetherapeut Gönnerwein, der jetzt mit einem Laminiergerät im Wesereck hockt und alles einschweißt, was nicht bei drei auf den Bäumen ist.

Merkwürdig an diesem Parforceritt ist nur eines: Andreas Giebel, der nebenbei Sätze für den Mittelteil seines Romans sammelt und dank Penner-Klaus zu einem Buchtitel kommt ("Das Rauschen in den Bäumen"), verliert nach der Pause an Fahrt. Dabei hatte er doch alles so fein für die große Apotheose vorbereitet. Womöglich liegt das auch daran, dass im zweiten Teil zwar der Maler Globowatz originell verunglückt, und Giebel ein Kabinettstück mit Fernsehwerbung einschiebt, aber letztlich nicht mehr so wahnsinnig viel passiert. Trotzdem: Beifallsstürme für das grandiose Ein-Mann-Theater.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: