Seefeld:Irrgarten des Jazz

Seefeld Schloss Konzert

Raffiniert: Chris Donnelly, Dan Fortin und Ernesto Cervini bei einem Auftritt im Sudhaus von Schloss Seefeld.

(Foto: Georgine Treybal)

Das Trio "Myriad3" treibt in Seefeld sein virtuoses Spiel mit völlig überraschenden Wendungen

Von Reinhard Palmer, Seefeld

Der Jazz von heute hat erstaunlich viele Gesichter. Hinter den vielen Ausprägungen eine einheitliche Linie zu finden, dürfte selbst per musikwissenschaftlicher Analyse schwierig werden. Und die junge kanadische Formation Myriad3 gehört zweifelsohne zu den extremen Ausreißern, obgleich das Material, mit dem Chris Donnelly (Klavier), Ernesto Cervini (Schlagwerk) und Dan Fortin (Kontrabass) hantieren, gewiss nicht neu ist. Überraschend ist vielmehr die Art und Weise, wie die drei Musiker aus Toronto im Sudhaus von Schloss Seefeld bei der Vorstellung ihrer dritten CD "Moons" damit umgingen.

Vom technischen und musikalischen Können und Empfinden her verfügen die jungen Musiker heutzutage generell über einen erstaunlichen Fundus, der es ihnen erlaubt, fast schon aus dem Vollen zu schöpfen. Doch das Trio tat das sehr selektiv und mit viel Bedacht. Vordringlich fiel die Konsequenz auf, mit der die eigene Linie eingehalten wurde, die dadurch an Klarheit kaum zu überbieten war. Gewiss, je nachdem, wer von den drei Musikern das jeweilige Stück komponiert hatte, wies es schon eine spezifische Handschrift auf. Doch im Grunde blieb bei allen das zentrale Thema die Irritation. Und selbst wenn Myriad3 auf einen Klassiker zurückgriffen - ein einziges Mal - und Ellingtons "C Jam Blues" in den Fußstapfen des Oscar Peterson Trios interpretierten, kam dabei doch eine sehr eigene Geschichte heraus, die das grandiose Zusammenspiel der Kanadier bezeugte. Unentwegte Rhythmuswechsel, Fragmentierung mit unregelmäßig langen Breaks, permanente Tempowechsel, Beschleunigung und Verlangsamung, plötzliche Wendungen und vieles mehr nahmen nicht nur den Zuhörern jede Orientierung, sondern auch den Musikern selbst. Zumindest scheinbar, denn die Homogenität blieb de facto perfekt erhalten.

Alles war also bis ins Detail akribisch einstudiert worden. Dennoch hatte das sperrig holpernde Experiment nichts Gezwungenes an sich. Vielmehr kam es wie ein freches Spiel mit den Erwartungen und den Vorstellungen der Zuhörer daher. Und verfehlte seine Wirkung keineswegs.

Ein zentrales Motiv der Musik von Myriad3 sind minimalistische, bisweilen endlos repetierte Begleitfiguren mit einem motivischen Rhythmus, wie man sie auch von Erik Satie her kennt, über die sich eine weit gedehnte melodische Linie spannt. Eine extreme Irritation, denn die Unterlage ist kleinteilig und nervös, während der schwebend weite, simple Gesang, der nicht selten von zwei Instrumenten unisono gespielt wurde, schier die Zeit anhält. Und glaubte man, da entwickle sich etwas, stockte die Musik erneut, brach ab, setzte vielleicht erst nach ein paar fragmentierten Neuansätzen die Linie zaghaft fort. Ein Spannungsaufbau, wie er auch in der klassischen Musik Anwendung findet, doch hier geradezu als vordergründiges Thema und von einer gänzlich anders gearteten Auflösung gefolgt. Allmählich anschwellende Substanz bot dann der angestauten Energie ein Ventil. Aber auch hier ging es ins Extreme: Die Klangfluten wurden zum tosenden Lärm. Nicht zum Selbstzweck, denn kurz bevor es unerträglich wurde, brach der Radau ab, um der harmonisch grundierten, stillen Melodik einen im Kontrast effektvollen Auftritt zu verschaffen.

Dieses gestalterische Vorgehen funktionierte auch ungekehrt, wenn ein Stück kraftvoll und ruhelos dahintreibend begann, etwa in "Skeleton Key", um plötzlich auf einer Insel der Seligkeit in blitzsauberer Harmonik anzukommen und in klassischer Rockvariante zum Imposanten zurückzukehren. Oder auch in Stücken, die in monumentaler Größe in der Manier eines Mussorgski begannen und mit hastendem Groove kontrastierten. Das Publikum zeigte sich begeistert. So konnten die drei darüber sichtlich beglückten Musiker erst nach zwei Zugaben Spargel essen gehen.

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