Seefeld:Herrsching, handgezeichnet

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Der Lehrer Wilhelm Lehr war wohl einer der ersten Fotografen am Ammersee. Nach seinen Bildern hat er Ansichtskarten gemalt. Ortwin Greis lässt die Epoche mit einem neuen Buch wieder aufleben

Von Katja Sebald, Seefeld

Von wegen armes Schulmeisterlein: Der Lehrer Wilhelm Lehr war eine geachtete Persönlichkeit in Herrsching, verheiratet mit einer reichen Bauerstochter, Gründer und Chorleiter des Sängerbundes sowie eines Kinderchors, Spielleiter von Krippenspielen und Theateraufführungen. Er war ein leidenschaftlicher Fotograf und Zeichner, überhaupt ein musisch höchst begabter Mensch, und so etwas wie ein selbsternannter Kulturbeauftragter. Leider war ihm nur ein kurzes Leben beschieden: Im Jahr 1905 starb er im Alter von nur 45 Jahren an Magenkrebs. Seinem größten Vermächtnis, einer Reihe von rund 50 akribisch gezeichneten Postkarten mit Motiven von Herrsching und Umgebung, widmet sich ein soeben erschienenes Buch, das vier honorige Herren aus dem Fünfseenland zusammengestellt, in Kleinstauflage gedruckt und im Selbstverlag herausgegeben haben.

Ortwin Greis hat Ansichtskarten von Wilhelm Lehr gesammelt. (Foto: Nila Thiel)

Die Postkarten von Wilhelm Lehr sind heute begehrte Sammlerobjekte. Sie entstanden im Zeitraum von 1898 bis 1905. Lehr, 1860 in Markt Schwaben geboren, kam als Hilfslehrer in Oberalting ins Fünfseenland. 1882 übernahm er auf Empfehlung des Grafen Clemens III. zu Toerring-Jettenbach die verwaiste Schullehrerstelle an der Patronatsschule in Herrsching. Er war mit Sicherheit der erste und vermutlich lange Zeit der einzige Herrschinger Fotograf.

Ortwin Greis hat ein Buch mit Ansichtskarten herausgeben. (Foto: Nila Thiel)

Seine Aufnahmen dienten ihm als Vorlagen für gezeichnete Ansichtskarten. Eine Besonderheit der Lehr-Karten sind die Kinder, die meist im Vordergrund abgebildet sind. Meistens handelt es sich dabei um die beiden jüngeren Söhne des Schullehrers. Sie sind aber auch mit ihren Spielgefährtinnen, in Dirndl und Lederhose, auf einem Leiterwagen, mit einem Spielzeug-Segelboot oder mit einer Ziege zu sehen. Die Karten zeigen verschiedene Motive aus Herrsching, Andechs, Seefeld, Oberalting, Hechendorf und Weßling, den Blick auf den See, das Kloster Andechs, das Seefelder Schloss. Auch dem dort im 19. Jahrhundert im Schlosspark angelegten Dörfchen "Eintrachtshausen" ist eine Karte gewidmet.

Das Buch von Ortwin Greis beinhaltet 50 Motive. (Foto: Nila Thiel)

Bereits im Jahr 1902, ein Jahr vor der Eröffnung der Bahnlinie Pasing-Herrsching gab Lehr eine Karte heraus, auf der die Sehenswürdigkeiten entlang der Bahnstrecke abgebildet waren. Insgesamt haben die vier Postkartensammler über 175 Karten von Wilhelm Lehr zusammengetragen.

50 verschiedene Motive mit zusätzlichen Druckvarianten konnten sie identifizieren, die weitaus meisten davon wurden als Schwarz-Weiß-Lichtdruck hergestellt, nur insgesamt elf als Farb-Lichtdruck. Auch nach dem Tod des Zeichners wurden seine Kartenmotive noch weiter verwendet.

Das in einer Auflage von 200 Stück gedruckte Buch zeichnet sich aber nicht nur durch seinen Umfang und die Qualität der Abbildungen aus. Ortwin Greis, zusammen mit Carl Drexler aus Herrsching, Heino von L'Estocq aus Tutzing und Gerhard Niembs aus Planegg Herausgeber des Buchs, legt auch Wert auf seinen wissenschaftlichen Anspruch. Greis, Jahrgang 1941, arbeitete als Chemiker und Geowissenschaftler fast sein ganzes Berufsleben lang im Ausland und kehrte im Ruhestand nach Seefeld zurück.

Er ist außerdem Philatelist, Briefmarkenprüfer und Spezialist für die Postgeschichte des Zarenreichs. Deshalb sind im nun vorliegenden Buch alle Postkarten auch mit der Adressseite abgebildet. Erst von 1905 an durfte der Text für den Adressaten auf die nun zweigeteilte Vorderseite und nicht auf die Bildseite geschrieben werden. Erläuterungen zu jeder einzelnen Karte, ein Literaturverzeichnis und ein Glossar verweisen auf den Perfektionisten, der hier am Werk war. Untersucht wurden auch die Poststempel und ihre Besonderheiten. Auch die Geheimsprache der Briefmarken erklärt das Buch: Liebespaare sandten sich in früheren Zeiten über schräg und quer aufgeklebte Marken zusätzliche Botschaften, die etwa "ein Kuss" oder "Ich bleib dir treu!" bedeuten konnten. Jetzt muss das sorgfältig aufbereitete Buch nur noch seine Käufer finden. Die Ansprüche, die Greis an die Druckqualität gestellt hat, schlagen sich in seinem Preis nieder: Bei einem Umfang von 80 Seiten kostet es 40 Euro. Gedruckt wurde es in Inning. Zu beziehen ist es direkt bei Greis in Seefeld. Kontaktaufnahme ist telefonisch unter 08152 - 909 95 16 oder per E-Mail an o.greis@web.de möglich.

© SZ vom 22.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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