Seefeld:Auf Miles' Spuren

Das Martin Auer Quintett mit "Our Kind of" in Seefeld

Von Armin Greune, Seefeld

Es ist ein spannendes, aber auch waghalsiges Unterfangen. Mit Miles Davis' "Kind of Blue" hat sich das Martin Auer Quintett eine Ikone der Musikgeschichte vorgenommen: Das weltweit meistverkaufte Jazzalbum gilt als Höhepunkt und Paradebeispiel des modalen Jazz. Was Davis und seine Musiker an nur zwei Tagen im Studio aufnahmen, hat auch nach 57 Jahren nichts von seiner Frische verloren. So gesehen sind Martin Auer (Trompete), Florian Trübsbach (Altsax), Jan Eschke (Piano), Andreas Kurz (Bass) und Bastian Jütte (Schlagzeug) mit ihrer Version "Our Kind of" zum Scheitern verurteilt, die Bedeutung des Originals werden sie nie erreichen. Das kann aber auch gar nicht Sinn der Übung sein, schon die Ausgangsposition war eine ganz andere: Davis hatte seine Kompositionen den Studiomusikern bis zur Aufnahme vorenthalten, um ihre Spontaneität herauszufordern. Das Quintett um Auer hat seine Interpretation 2011 arrangiert und damit allein seit April dieses Jahres 50 Konzerte bestritten, wie der Bandleader beim Konzert in Schloss Seefeld erzählte.

Bevor dort aber das Remake zu hören war, gaben die Musiker erst einmal ihre Visitenkarten in Form von Eigenkompositionen ab. Das Spektrum der Stilmittel zwischen wohlklingenden Melodien und Solo-Improvisationen war allein schon beeindruckend, die Stimmungen reichten von der Reflexion bis zur Eruption. Komplexe Rhythmuswechsel wie in "Caught into Something Turning" (Kurz) erzeugten immer wieder Spannung, während von Eschkes "Bachstelze" gelassene Heiterkeit ausging. Selbst wenn bei Kurz' Ballade "Motion" das Zusammenspiel der zwei Bläser nicht genau saß, war allen Protagonisten anzumerken, dass sie an ihren Instrumenten der absoluten Spitzenklasse - zumindest auf nationaler Ebene - angehören. Inzwischen haben Auer (Leipzig), Trübsbach (München) und Eschke (Augsburg) Lehraufträge an Musikhochschulen. Kurz und Jütte wurden im Tim Allhoff Trio 2010 mit dem Neuen Deutschen Jazzpreis ausgezeichnet, Jütte heuer erneut mit dem eigenen Quartett, zu dem Trübsbach gehört.

Schon vor der Pause wurde so ein anderer grundsätzlicher Unterschied zum historischen Vorbild deutlich: Während Miles Davis als Boss seine Kollegen nach Stundenlohn bezahlte und "Kind of Blue" mehr oder minder allein komponierte, ist das Quintett, das Auers Namen trägt, ein Ensemble gleichberechtigter Teamspieler. So hatte auch jeder der Musiker ein Stück des Originalalbums neu arrangiert: Kurz überließ das prägnante Riff von "So What" zu Beginn Eschke am Flügel, der wiederum wirbelte in der Mitte der Ballade "Blue in Green" "ein paar Achtel durcheinander" (Auer). "Freddie Freeloader" reicherte Jütte mit einem reizvollen Intermezzo an, Auers Version von "Flamenco Sketches" wirkte etwas schrill, wurde aber vom Publikum mit dem lautesten Beifall bedacht. Und bei "All Blues" verzichtete nur Arrangeur Trübsbach auf ein Solo. Anders als Auer scherzhaft ankündigte, waren die Originalstücke zwar noch zu erkennen - aber doch zu etwas Neuem geworden. Gut so: Wer einem Meisterwerk mit Respekt begegnet, darf es nicht plagiieren, sondern muss den Faden weiter spinnen - im Jazz noch mehr als in der Klassik.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: