Schule:Mit dem Motorrad in den Ruhestand

Gauting Mittelschule Rektorin

Die Nachfolgerin von Schulleiter Udo Wiese steht schon fest: Es ist Isolde Wengenmeyer, bisher Konrektorin in Karlsfeld.

(Foto: Georgine Treybal)

Udo Wiese zieht Bilanz nach 23 Jahren als Rektor der Gautinger Paul-Hey-Schule. Als desillusionierend empfindet er, dass es nach wie vor keine große Schulfamilie gibt. Seine Nachfolgerin kommt aus Karlsfeld

Von Amelie Plitt, Gauting

"Rückblickend kann ich sagen, dass ich mich in meiner Berufswahl nicht getäuscht habe." Nach 23 Jahren geht Udo Wiese, Rektor der Paul-Hey-Mittelschule, am 31. Juli in den Ruhestand. Entspannt lehnt sich der 64-Jährige im Stuhl seines Rektorats zurück. Er trägt ein lässiges weißes Hemd, moderne dunkelblaue Jeans und ein goldenes Kettchen um den Hals. Diese Gelassenheit rühre nicht zuletzt von dem bevorstehenden Ereignis, der Pensionierung, sagt Wiese, lacht und konstatiert: "Wenn man nach 23 Jahren im Amt des Rektors nicht eine gewisse innere Ruhe gefunden hat, wann denn dann?"

Er schätze an seinem Beruf insbesondere die Auseinandersetzung mit den Kindern, die für ihn etwas Belebendes habe und ihn geistig fit halte. Dabei begegnete er den Heranwachsenden stets mit Verständnis und erinnerte sich oft an seine eigene Jugend: "Aufgrund meines ausgeprägten Sinns für Gerechtigkeit bin ich in der Pubertät selbst nicht immer einfach gewesen", skizziert Wiese.

Dabei waren die 23 Jahre von Höhen und Tiefen geprägt. Am 1. September 1993 übernahm der Vater von zwei Kindern die Schulleitung. Damals hatte die Schule 228 Schüler, mit der Einführung des M-Zugs, mit dem die Mittlere Reife auf direktem Weg erworben werden kann, wuchs die Zahl auf fast 360. Dann die Talfahrt: Mit der Etablierung der sechsjährigen Realschulausbildung fehlten plötzlich die Schüler der fünften und sechsten Klassen: "Von 2001/2002 an war ein richtiger Aderlass an den Realschulen festzustellen, sodass ich Angst hatte, dass die Schulart ausstirbt, und wir mit einem ernsthaften Akzeptanzproblem kämpften", erinnert sich Wiese. 2008 drohten die Schülerzahlen sogar unter 200 zu fallen. Aufgeben wollte der Pädagoge aber nie, vielmehr richtete er zusammen mit dem Kollegium 2007 eine offene Ganztagsschule ein, zwei Jahre später folgte die Etablierung je einer gebundenen Ganztagsklasse in der fünften und sechsten Jahrgangsstufe.

Gleichzeitig machte sich die Einführung des achtjährigen Gymnasiums bemerkbar: Viele Gymnasiasten sind dem Druck nicht mehr gewachsen und sehen den Abschluss auf der Paul-Hey-Mittelschule als letzte Chance. "Wir beginnen in der siebten Klasse meist mit einem kleinen M-Zug, und zum Schluss haben wir zwei große zehnte Klassen, wovon mindestens die Hälfte Abgänger von Realschule und Gymnasium sind." Seit dem Schuljahr 2014/2015 gibt es außerdem zwei Übergangsklassen mit 44 Schülern, davon 42 Flüchtlingskindern. Eine gesellschaftliche Herausforderung, so Wiese, die von allen gestemmt werden müsse, auch von Gymnasien und Realschulen.

Wenn er zurückdenkt, erinnert er sich gerne an die Zeugnisvergabe der Abschlussklassen: Besonders berührt haben den scheidenden Rektor die Jugendlichen, mit denen er jahrelang mitzitterte, ob sie die Schule schaffen würden. Höhepunkte seien auch Besuche ehemaliger Schüler in seinem Rektorat gewesen. Bei diesen Treffen zeigte sich, dass fast alle seine Schüler den Weg ins Berufsleben geschafft haben, erklärt Wiese.

Dennoch reflektiert der Pädagoge die 23 Jahre des täglichen Schulalltags auch kritisch. Die wachsende Zahl staatlicher Vorgaben seien gut gemeinter Aktionismus, aber nicht zielführend. Unendlich viel müsse schriftlich festgehalten werden, was viele Ressourcen binde und dazu führe, dass wertvolle Zeit für die Schülerbetreuung verloren geht, sagt der 64-Jährige. Als besonders desillusionierend empfindet es der Pädagoge, dass die verschiedenen Schulformen keine große Schulfamilie bilden. "Wir laufen alle nebeneinander her, und die Schüler sind auseinanderdividiert", meint Wiese . Für ihn ist diese Aufteilung systemisch bedingt, eine Änderung dieser Gruppenzugehörigkeiten würde sich der scheidende Rektor dennoch wünschen.

Nach all den ereignisreichen Jahren könne er es nicht leugnen, dass er sich nun auf den Ruhestand freue, so Wiese. "Am meisten genieße ich jetzt, dass ich nicht früh morgens mein Hirn durchscannen muss und denke, was darfst du heute nicht vergessen?" Viel möchte Wiese nun mit seinem kleinen Enkel Maximilian unternehmen. Auch seine Hobbys sollen nicht mehr zu kurz kommen. Der Pädagoge erklärt schmunzelnd, dass er für einen Halbmarathon trainiere, wieder mehr Segeln möchte und sich bei sonnigem Wetter aufs Motorrad setzen will. Und wie stellt sich der scheidende Rektor den Abschied vor? Eins ist für ihn klar: "Bloß keine Lobhudeleien, ich will leise Servus sagen."

Am vorletzten Schultag wird in kleiner Runde mit den engsten Weggefährten und dem Lehrerkollegium ganz unkompliziert Abschied gefeiert. Am Tag darauf möchte er sich von seinen Schülern in der Aula verabschieden. Zum 1. August übernimmt seine Nachfolgerin Isolde Wengenmeyer, bisher Konrektorin in Karlsfeld, die Schulleitung. Und einen Rat hat er für sie: "Eine Schule muss auf eine menschliche und kollegiale Art geführt werden, dass war mir in all den Jahren am Wichtigsten. Es darf nicht jede Anordnung von oben unreflektiert übernommen werden, man muss stets die Schüler im Auge haben und überlegen, ob das passt." Zur Zeit führt er viele Gespräche mit Wengenmeyer, damit die e Übergabe im Sinne des Kollegiums und der Schüler reibungslos vonstatten geht.

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