Schondorf:Tierisch gute Geschichten

Jürgen Teipel

Er sucht die besondere Beziehung zwischen Mensch und Tier: Der Schondorfer Schriftsteller Jürgen Teipel, hier in einer Vogelaufzuchtstation.

(Foto: Jakob Feigl)

Jürgen Teipel wandelte sich vom Punk-Papst zum sanften Erzähler

Von Carolin Fries, Schondorf

Der Schriftsteller Jürgen Teipel hatte nie ein Tier, um das er sich kümmern musste. Die Familie habe "mal einen Wellensittich gehabt, mal einen Hamster", erzählt er. Geprägt aber haben ihn diese Tiere nicht. Das waren schon eher die Ameisen, für die er hinter dem Wohnblock in Kulmbach aus Streichhölzern Brücken und Häuser baute. Und natürlich "die Viecher", die seine Großmutter hielt. Die hat er als Junge oft besucht: ein paar Hasen und Ziegen, "vor den Ziegen hatte ich Schiss". Echte Beziehungen zu Tieren aber gab es nicht. Das Leben des heute 56-Jährigen aus Schondorf am Ammersee hat bis zum achten Lebensjahr eine Rückgratverkrümmung geprägt, die ihn nachts ans Gipsbett gefesselt und schließlich in ein stützendes Korsett gepresst hat. Daraus befreite ihn später die Musik. Laute, harte Beats. Er hat sich Punk und Techno gewidmet, sein Verkaufsschlager "Verschwende deine Jugend" hat ihn zum Punk-Papst der Nation gemacht. Seit "Ich weiß nicht" gilt er als Techno-Experte. Die Zeit der lauten Töne ist bei Jürgen Teipel vorbei.

Er hat gemerkt, dass es auf andere Dinge im Leben ankommt. Anstatt DJs und Punks - "nicht immer die einfachsten Charaktere" - hat er in den vergangenen zwei Jahren Menschen zugehört, die ihm eine Tiergeschichte erzählen konnten. Er hat sie aufgeschrieben und es genossen, denn "bei Tieren machen die Menschen auf, werden zugänglich". Diesen Blick auf die offenen Seelen hatte er vermisst vor lauter Selbstdarstellung, die ihm im Alltag gewöhnlich begegnet. "Hey, definiere ich mich nur nach außen darüber, welche neuen Bücher ich gelesen habe und welche tolle Ausstellung ich besucht habe?", fragt der Schriftsteller mit sanfter Stimme, die an eine Meditationseinheit erinnert. Hey, ein kleines bisschen Punk steckt schon noch in ihm drin - aber ein ganz sanfter. Tiergeschichten also. "Unsere unbekannte Familie" (Suhrkamp Verlag), wie er die Sammlung getitelt hat, versammelt 39 emotional anrührende, echte Momente. Das muss man erst einmal hinkriegen.

Da sind Hasen, Kühe, Pferde, Hunde, Katzen, Schafe und Vögel, sogar ein Puma und ein Walbaby kommen vor. Doch es ist nie das Tier alleine, das Teipel fasziniert, sondern die Interaktion mit dem Menschen. Er ist überzeugt: "Die grundlegenden Faktorem unseres Daseins und damit auch die wichtigsten Reaktionen darauf sind bei ihnen ganz ähnlich wie bei uns: Freude, Angst, Habenwollen, Wut." Es darf deshalb nicht verwundern, dass es in diesem Buch um große Gefühle geht - doch Teipel ist das nicht zu kitschig. "Nein, mir tut das gut." So lässt er die Menschen, die er in ganz Deutschland besucht hat von mutigen Angsthasen erzählen, freundlichen Leitkühen und einem Mann, der mit einem Eichhörnchen auf der Schulter geduscht hat. Teipel hat in der Tat "nur zugehört", in seinem Buch hört man die verschiedenen Dialekte förmlich. Der Sprachduktus macht obendrein klar, dass es in den Erzählungen nicht darum geht, Verhaltensmuster wissenschaftlich zu erklären. Hier darf ein Wunder einfach ein Wunder bleiben. Wie beispielsweise die Esel, die die Abwesenheit ihres Halters akzeptieren - vorausgesetzt er teilt ihnen vorher mit, wann genau er wieder zurück ist. Auch im Landkreis Starnberg war er zu Besuch - bei der damals 77 Jahre alten Tierärztin Lotte Stein in Stockdorf. Sie hat ihm eine anrührende Katzengeschichte über Verlust und Vertrauen erzählt.

Es sind nicht ausschließlich Geschichten, die fröhlich machen. In seiner jüngsten Lesung hat Teipel aus "Dünne Haut" vorgelesen. Die Besucher haben danach teilweise geweint. Jürgen Voß aus Mecklenburg-Vorpommern schildert in der Geschichte grausame Szenarien in einer Schweinemast. Das ist zum Weinen, vor allem aber zum Reflektieren: Wie geht die Gesellschaft mit Tieren um? Wie ist man persönlich betroffen? Jürgen Teipel hat diese ethische Ebene recht schnell erfasst. Er ist Vegetarier, hält den menschlichen Umgang mit diesen Geschöpfen für "teilweise krank", will aber nicht mit dem erhobenen Zeigefinger daherkommen. "Jeder muss seine eigenen Schlüsse ziehen." Die seinen hat er längst gezogen und in die Tat umgesetzt. Vor einem Jahr ist er aus München-Neuhausen nach Schondorf gezogen. Teipel spricht von einer "gesegneten Landschaft", die er hier genießen kann,den Blick in die weite gerichtet gen Benediktenwand. Er sammelt weiter Tiergeschichten, für einen zweiten Band. "Es sind noch so viele lose Fäden", sagt er. Er sei jetzt sogar bereit für ein Haustier.

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