Schlagenhofen:Das Generationenmodell

Der Sieberhof in Schlagenhofen ist seit 400 Jahren in Familienbesitz und wird auch in direkter Nachkommenschaft bewirtschaftet. Der Betrieb ist mittlerweile 70 Hektar groß, im Stall stehen 60 Kühe und etwa 60 Kälber. Auch die alte Gaststube gibt es noch. Ein Besuch auf dem Hof

Von Christine Setzwein, Schlagenhofen

Wer einen Hof hat, der seit 400 Jahren in direkter Nachkommenschaft bewirtschaftet wird, kann Geschichte(n) schreiben. Gesammelt hat sie Katharina Hartmann, fein säuberlich in einem dicken Aktenordner. Die 78-Jährige ist die Oma auf dem Sieberhof in Schlagenhofen, der von Schwägerin Sibylle Woerner-Sieber, 55, zusammen mit ihrem Lebensgefährten Max Pfeffer, 69, geführt wird. Und mit Enkel Nikolaus steht schon die nächste Generation in den Startlöchern. Der 19-Jährige, der 2016 Abitur gemacht hat, besucht die landwirtschaftliche Berufsschule. Anlässlich der 775-Jahrfeier Schlagenhofens Ende Mai überreichte der Starnberger Kreisbauernobmann der Familie Sieber eine Urkunde für 400 Jahre Hofbewirtschaftung. "Diese Auszeichnung", sagte er, "verleiht der Bayerische Bauernverband nur an alte Bauerngeschlechter."

Das 750. Jubiläum von Schlagenhofen, das 1992 gefeiert wurde, war der Auslöser für Katharina Hartmann, sich intensiv mit der Geschichte des Gastlhofs, der damals von ihrem Bruder Peter Sieber bewirtschaftet wurde, zu beschäftigen. Ein Jahr lang hatte sie die Pfarrbücher bei sich zu Hause, viele Stunden recherchierte sie in der Bayerischen Staatsbibliothek, fand dort im Toerring-Archiv I für das Jahr 1609 die erste Erwähnung eines Bauern namens Sebastian Schleufelder auf dem Gastlhof. Durch die Heirat der Hoferbinnen werden aus der Familie Schloyfelder zunächst die Familien Widmann, dann Leitner und schließlich Sieber.

Der Gastl-Hof ist seit 1609 Familienbesitz

Max Pfeffer kümmert sich auf dem Sieber-Hof in Schlagenhofen um die Landwirtschaft.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Liebevoll und akribisch hat Katharina Hartmann die Geschichte und den Stammbaum des Sieberhofs, in dem sie 1939 geboren wurde, zusammengetragen. Urkunden, Verträge, Rechnungen, Fotos, Todesanzeigen. Dabei hatte sie selber mit der Landwirtschaft nicht viel am Hut. Nach dem Internat in Kaufbeuren arbeitete sie in der Raiffeisenbank Inning. Nach der Heirat ging sie mit ihrem Mann, einem Mathematiker, für zweieinhalb Jahre als Entwicklungshelfer nach Äthiopien, wo Heinrich Hartmann an der Uni in Addis Abeba lehrte. Nach der Rückkehr 1975 unterrichtete Hartmann als Lehrer am Gymnasium Gilching.

Vor allem ihr Großvater Martin Leitner, erzählt Katharina Hartman, habe den Hof und auch die Gemeinde vorangebracht. "Hochbegabt" sei er gewesen, er besuchte die Ackerbauschule und hätte ein Stipendium für ein Studium bekommen. Doch sein Vater Josef lehnte das ab. "Auf'm Land brauch ma a g'scheide Leut", meinte er. 1896 wurde im Gasthaus Leitner ein Spar- und Darlehenskassenverein gegründet. Geschäftsführer: Martin Leitner. 1898 übernahm er den Hof, der zu der Zeit über 31 Hektar verfügte. Um die Jahrhundertwende wurde im Gastlhof ein Telefon eingerichtet, das einzige weit und breit. Täglich wurde dann der Wetterbericht durchgegeben, der dann ausgehängt werden musste. 1900 plante und berechnete Martin Leitner eine Wasserleitung von einer Quelle auf seinem Grund am Höhenbrunnl. Ein Großteil des Dorfes konnte sich unentgeltlich anschließen. 1927 ließ Leitner, im Sog der Dreharbeiten zu den beiden Troja-Monumentalfilmen am südlichen Wörthsee, die Seewirtschaft bauen, die heute "Adria-Grill" heißt und immer noch im Besitz der Familie, aber verpachtet ist. Weil am feuchten Seeufer Landwirtschaft quasi unmöglich und die Nachfrage nach Seegrundstücken groß war, wurden außerdem mehrere Seegrundstücke an Münchner Vereine verpachtet.

Der Gastl-Hof ist seit 1609 Familienbesitz

Seit 1609 ist der Hof im Familienbesitz.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)

So erfolgreich Martin Leitner im Beruf ist, so schwer ist der Schicksalsschlag, der ihn und seine Frau Katharina trifft. 1904 ertrinkt Sohn Hansi im Alter von nur zwei Jahren in der Odelgrube des Nachbarn. Kinder hatten ihn hineingeschubst.

Als Katharina Leitner und ihr Mann Peter Sieber 1936 den Hof übernehmen, ist er bereits 46 Hektar groß. Dem Telefon, immer noch das einzige im Dorf, kommt während des Zweiten Weltkriegs eine wichtige Rolle zu: Vor den Fliegerangriffe auf München wird nämlich telefonisch gewarnt.

Nach dem Krieg wird gefeiert. Schon 1870 hatte Josef Leitner die offizielle Gastwirtschaftskonzession erhalten. Katharina Hartmann erinnert sich an große Faschingsbälle. Damals gab es noch einen großen Saal über der Gaststätte, der aber 1960 in Fremdenzimmer umgebaut wird. Der Hof erhält Bäder und Toiletten.

1968 übernimmt Peter Sieber im Alter von 26 Jahren die 47 Hektar große Landwirtschaft. Die Schwestern Katharina und Amelie erhalten je ein Grundstück am Grünbichl und am Wörthsee. Der Stall wird groß umgebaut in Laufstall und Melkstand. 1972 schließt die Gaststätte. Peter Sieber drückt noch mal die Schulbank und wird Landwirtschaftsmeister. Allein bis 1992 bildet er 50 Lehrlinge und Praktikanten aus Bayern, Norddeutschland, Portugal und China aus. 2002 stirbt Peter Sieber. Er hinterlässt seine Frau Sibylle Woerner und die drei Kinder Roman, Verena und Nikolaus.

Der Gastl-Hof ist seit 1609 Familienbesitz

Ein solch weit zurückreichender Familienbesitz ist eine Seltenheit und ist darum kürzlich vom Bayerischen Bauernverband mit einer Urkunde ausgezeichnet worden.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Seit dem ist Sibylle Woerner-Sieber Chefin auf dem Hof. Die gebürtige Münchnerin ist zwar gelernte Buchhändlerin, doch schon als Kind konnte sie sich nichts Schöneres vorstellen, als Bäuerin zu werden, sagt sie. Für ein Studium an der Uni Weihenstephan reichte zunächst der Notendurchschnitt nicht, also ging sie erst einmal für dreieinhalb Jahre nach Barcelona. Dann klappte es mit dem Studienplatz. Ein Jahr lang blieb sie an der Hochschule, bis sie ein Praktikum auf dem Sieberhof begann, das in eine Lehre und schließlich in eine Hochzeit mündete.

Heute wird Woerner-Sieber von ihrem Lebengefährten Max Pfeffer aus Hochstadt unterstützt. Der Hof ist mittlerweile 70 Hektar groß, ein Drittel entfällt auf Ackerbau, der große Rest auf Grünland und Wald. Im Stall stehen 60 Kühe und etwa 60 Kälber. Auch die alte Gaststube gibt es noch. Einmal im Monat treffen sich dort die Schlagenhofener nach der Sonntagsmesse. Ein Wirtshaus im Dorf wäre schon schön, sagen viele. Aber beides, Landwirtschaft und regelmäßiger Gaststättenbetrieb, "geht nicht", sagt Sibylle Woerner-Sieber. Noch ist nicht aller Tage Abend. Tochter Verena, 20, ist gelernte Hotelfachfrau und studiert Touristik. Der älteste Sohn Roman, 22, ist Landmaschinenmechaniker. Nikolaus absolviert die Ausbildung zum Landwirt. Der jüngste Spross weiß jedenfalls schon, was er als erstes machen würde, würde er den Hof übernehmen: "Einen Melkroboter kaufen."

Die zwanzig Haustafeln der Ausstellung "775-Jahre Schlagenhofen" sollen jetzt in einem Fotoheft erscheinen. Es wird weitgehend in der Festschrift nicht gezeigte Bilder von den Häusern und Familien des Dorfes enthalten. Zur besseren Kalkulation der Auflage werden Interessenten gebeten, das Heft unter Tel: 08152/70561 vorzubestellen. Kostenpunkt: acht bis zehn Euro.

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