Pöcking:Klang der Hoffnung

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Herausragend im Arioso "Lasst uns singen": die Sopranistin Annegeer Stumphius, die zu den Solisten der Paulus-Aufführung in Pöcking gehörte. (Foto: Georgine Treybal)

Chöre aus Pöcking und Ottobrunn geben zusammen mit dem Kammerorchester Stringendo und Gesangssolisten das Paulus-Oratorium und bitten davor um eine Schweigeminute für die Opfer von Paris

Von Berthold Schindler, Pöcking

In der Münchner Konzertsaaldebatte geht es auch darum, wie der Saal aussehen soll. Es gilt als Konsens unter Experten, dass die Schuhschachtelform die beste Lösung ist, weil sie die idealen Proportionen für einen tragfähigen Klang bietet. Pöcking ist insofern den Münchnern einen Schritt voraus, denn seine St.-Pius-Kirche weist zumindest im Mittelschiff exakt diesen kartonartigen Schnitt auf. Dementsprechend gut klang auch, was dort die Chorgemeinschaft St. Pius, der Ars-Musica-Chor Ottobrunn, das Kammerorchester Stringendo und die Gesangssolisten unter der Leitung von Norbert Groh boten: das Oratorium Paulus von Felix Mendelssohn-Bartholdy. Die besondere Herausforderung bei der Interpretation dieses Werks liegt darin, den Spagat zwischen den barocken Wurzeln des Stückes und der romantischen Tonsprache Mendelssohns zu finden. Die Chorkooperation aus Pöcking/Ottobrunn zeigte dabei eine bemerkenswerte Leistung. Stimmtechnisch ist das Werk angesichts der unangenehmen Tessitur selbst für Profis nicht leicht zu bewältigen. Ermüdungserscheinungen waren den Choristen jedoch nicht anzumerken, zumindest nicht bei den hohen Tönen: Soprani wie die von einer Altistin verstärkten Tenöre hatten Standvermögen und Stahlkraft. Wenn sich überhaupt stimmliche Schwächen einschlichen, dann vor allem in der Mittellage: Das "Saul"-Chorrezitativ im Frauenchor hatte leichte Schieflage; auch die Choräle "Dir Herr, Dir will ich mich ergeben" und "Wachet auf, ruft uns die Stimme", die für den Gemeindegesang gesetzt und daher in der Melodie nicht hoch sind, kamen unterspannt daher, also eine Nuance zu tief. Dagegen überzeugten vor allem die Turba- und Lobpreis-Chöre wie "Mache dich auf, werde licht" mit deklamatorischer Präzision und Lust an der Sprache. Norbert Groh zeigte sich als umsichtiger, unprätentiöser Partiturverwalter. Ob ein Dirigent über eine solide Schlagtechnik und Organisationstalent verfügt, wird besonders bei Attacca-Einsätzen und Rezitativen sichtbar. Beide Aufgaben löste er gekonnt. Das Kammerorchester Stringendo, personell aufgestockt mit einigen Instrumentalisten von der Münchner Musikhochschule, war insgesamt ein verlässlicher musikalischer Partner für Chor und Solisten. Besonders herausstechen konnten die Streicher mit feinem Strich und hoher Sensibilität sowie die Blechbläser, die, wo gefragt, prachtvolle runde Töne beisteuerten. Gelegentlich hatten Chor und Orchester Probleme mit der Balance; vor allem im colla-parte-Spiel, wenn die Instrumente die Stimmen stützen sollen, hätte sich ein behutsamer Umgang in der Tongebung empfohlen, um gerade in polyphon verdichteten Passagen dem Chor die Chance zu geben, textverständlich zu singen. Die Solisten hinterließen einen gemischten Eindruck. Mendelssohn hat Sopran und Tenor eine aufgeteilte Erzählerrolle zugedacht, die in der Tradition des Bachschen Evangelisten steht. Die Rotterdamer Sopranistin Annegeer Stumphius hatte Mühe, ihre große, warme Stimme in den Dienst des Erzählers zu stellen; besonders fiel ihr vibrato- und obertonreicher Gesang aus dem Solistenquartett "O Jesu Christe, wahres Licht" heraus, als die anderen drei Sänger um einen schlankeren, homogenen Ensembleklang bemüht waren. Dafür glänzte sie im Arioso "Laßt uns singen" mit Hingebung in Ton und Gestus. Frieder Lang gab der Partie seinen kraftvollen, strahlenden Tenor; Gestaltungselemente wie sporadische Portamenti waren dagegen eher ungewöhnlich für ein Oratorium. Kurz, aber gut: der Auftritt von Brigitte Lang, die mit ihrem klaren, weichen Alt bestach. In seiner dramatischen Rolle als Paulus hätte man sich von Nikolai Ardey gewünscht, dass er das Publikum mitnimmt. Gerade in den Duetten jedoch kam sein kerniger Klang zum Tragen, auch gewann er allmählich an Bühnenpräsenz. Vor dem Konzert baten die Aufführenden um eine Schweigeminute für die Pariser Anschlagsopfer. Es war ihnen ein Anliegen, Trost und Hoffnung in die Musik zu legen. Nachdem der Schlussakkord verklungen war, erhob sich das Publikum: Der Applaus galt nicht nur der musikalischen Qualität des Abends, sondern war auch eine Anerkennung für die Innigkeit, mit der die Musiker den Notentext bereicherten.

© SZ vom 19.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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