Restaurationsarbeiten:Wiederauferstehung

Viel weiß man nicht über die Heiligenfiguren vom Kalvarienberg in Possenhofen. Gewiss ist: Die Pöckinger setzen sich sehr für ihren Erhalt ein. Jetzt hat die Stadt München als Eigentümerin die metergroßen Schnitzereien restaurieren lassen.

Von Carolin Fries

Die Sterbenden liegen auf einfachen Böcken, aus den offenen Wunden tropft das Blut, um die Hüften der Gekreuzigten sind schlichte Tücher geschlungen. Daneben die Schmerzhafte Maria, unter einem blauen Schleier trauernd. Tränen laufen ihr über die bleichen Wangen. Sie hat sich ein Schwert ins Herz gerammt. Allerdings steckt nurmehr die Spitze in der hölzernen Heiligenfigur, der Schwertgriff wurde schon vor Jahren abgebrochen. Umgeben von diesem Elend wirkt das strahlende Lachen von Rosi Rauchenberger, 31, fast unecht. Die Kirchenmalerin widmet sich in einer Garage der Restaurierungswerkstätten Wiegerling in Gaißach den zweiten Tag der Kreuzigungsgruppe vom Kalvarienberg in Possenhofen. Bis zum Palmsonntag sollen die Figuren fertig und wieder an ihrem Platz sein, wo die Possenhofener schließlich ihre Wiederauferstehung feiern werden.

Ende vergangenen Jahres wurden die meterhohen Figuren abmontiert und in den Werkstätten im Nachbarlandkreis eingelagert. Das Ergebnis einer langen Vorarbeit von Gerhard Köstler und Martin Erhard. Die beiden Pöckinger eint der Einsatz um den Erhalt der Kreuzigungsgruppe. Köstler hatte angestoßen, dass Bürgermeister Rainer Schnitzler einen Brief an Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter schreibt. Erhardt hat sich parallel mit diversen Abteilungen im Baureferat der Landeshauptstadt in Verbindung gesetzt. Der Stadt gehört der Kalvarienberg samt Kreuzigungsweg und Kreuzigungsgruppe seit 1963. Auch Teile des Schlossparks und der angrenzenden Wälder gehören München. "Wenn etwas passieren soll, ist es schwierig mit einer großen Behörde", sagt Erhard. Wenn es nach ihm geht, der sich ehrenamtlich obendrein im Verein zum Erhalt der Fischerkapelle und in der Zukunftswerkstatt engagiert, sollte eine ganze Menge passieren am Kalvarienberg. "Von der Pöckinger Seite kann man gar nicht mehr rauf gehen", sagt er, so zugewuchert und ungepflegt sei der alte Zugang. Es fehlten darüber hinaus Hinweisschilder und Einträge in regionalen Reiseführern. Erhard wünscht sich dann gerne, der Berg gehöre nicht der Stadt München, sondern einer regionalen Stiftung oder einem Verein. Doch die Gemeinde scheint keinerlei Interesse daran zu haben, den Kalvarienberg zu kaufen, würde sie sich damit doch einen kostenintensiven Langzeitpatienten ans Bein binden.

Die Stadt lässt die Schnitzereien routinemäßig untersuchen und bei Bedarf restauriert. Als die Figuren zuletzt vom Kreuz kamen, nisteten Vögel im Nacken der Gekreuzigten, Dreck hatte sich auf dem Holz abgelagert, an den feuchten Stellen war eine dünne Schicht Moos gewachsen. Die Farbschicht war an einigen Stellen aufgesprungen und abgeblättert, die Gruppe wirkte in ihrer ganzen Pracht wie vergessen. Auch die Figuren in der Ölbergkapelle, die nach einer Vorlage des Architekten Hans Döllgast gebaut wurde, waren sanierungsbedürftig. Jesus Christus betet dort in seiner Verzweiflung, dass dieser Kelch doch an ihm vorübergehen möge, als ihm ein Engel erscheint. Und da steht er, die goldenen Flügel ausgebreitet. Doch die Struktur der Federn hat ebenso gelitten wie des Engels Fingerzeig. Andererseits muss man sagen: Die Grundsubstanz ist gut erhalten. In dieser Qualität gibt es nicht mehr viele Kunstwerke aus dem 17. Jahrhundert.

Wann genau die Schnitzereien entstanden sind, ist nicht überliefert. Es gibt lediglich Theorien. Michael Schmid, Diözesankonservator des Bistums Augsburg, geht davon aus, dass ein Münchner Bildhauer die Werke 1680 bis 1710 geschaffen hat. Dafür spräche der Typus der Maria, der auf das bekannte Gnadenbild der Herzogspitalkirche zurückgehe. "Möglicherweise käme Balthasar Abtleithner infrage", heißt es in einem Schreiben zur kunsthistorischen Bedeutung der Figuren aus dem Jahr 2015, welches eine stilistische Untersuchung empfiehlt. Abtleithner hat die Chorschranke in der Münchner Theatinerkirche mit den wertvollen Monumentalfiguren der Evangelisten Markus, Lukas und Johannes geschaffen. Ob auch die Schmerzhafte Maria vom Kalvarienberg aus seiner Hand stammt, ist fraglich - aber wenn doch: "Dann hängen diese Kunstwerke da einfach in der Natur rum", gibt Gerhard Köstler zu bedenken.

Kreuzigungsgruppe  Possenhofen

Der betende Jesus aus der Ölbergkapelle.

(Foto: Manfred Neubauer)

Aktuell stehen beziehungsweise liegen sie wie gesagt in einer kühlen Garage, um das Holz nicht zu starken Temperaturschwankungen auszusetzen. Rosi Rauchenberger trägt einen Wollpullover und eine Daunenweste gegen die Kälte. Wenn sie an den Figuren arbeitet, steht sie auf einer Styroporplatte, "sonst wäre es nicht auszuhalten". Zentimeterweise arbeitet sie sich voran, eine Spritze in der einen, einen Lappen in der anderen Hand. Das offen liegende Holz benetzt sie zuerst mit Spiritus, dann bringt sie eine Paraloed-B72-Lösung ein. Das Acrylharz soll das Holz resistent machen. Es geht um "Bestandssicherung", wie Werkstattchef Stephan Hundbiß sagt. In den nächsten Arbeitsschritten werden die offenen Stellen gekittet und schließlich farblich retouchiert. Mit einer falschen Farbwahl kann man viel zerstören, etwa wenn ein blasser Blauton zu kräftig gerät oder aber die trauernde Maria rosige Wangen erhält. In Gaißach soll nichts hinzugemalt werden, betont Hundbiß. Kein einziger Bluttropfen. Alles soll bleiben, wie es einmal war. Doch was war? Hundbiß hat der Marienskulptur eine Holzprobe entnommen, um das herauszufinden. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Schmerzhafte Maria mindestens vier Mal restauriert wurde, zuletzt 1987, wie die Pressestelle des städtischen Baureferats mitteilt. Die Maßnahme ihn diesem Jahr kostet die Stadt etwa 25 000 Euro.

1648 wurde die Kreuzigungsgruppe vom damaligen Schlossherrn Hans Caspar Hörwarth errichtet - aus Dankbarkeit, dass die Bevölkerung größtenteils Krieg und Pest überstanden hatte. Sie wurde über die nächsten Generationen gepflegt und weiter ausgebaut, die Ölberggruppe kam wohl erst einige Jahre später hinzu. Ebenfalls eine jüngere Zutat sind die gemalten Kreuzwegstationen. Prinzessin Elisabeth von Bayern, spätere Kaiserin Sisi von Österreich, soll den Platz geliebt haben.

Für dieses Jahr sind die Arbeiten erledigt, im kommenden Jahr aber, zur 370-Jahrfeier, hätte Martin Erhard noch ein paar Wünsche: dass die Kreuze eine Art hölzernen Baldachin bekommen und die Marieneinhausung wieder eine Tafel. Auch sollten die Figuren im Winter eine schützende Verpackung erhalten. Die Sorge und der Kampf um den Erhalt der Figuren geht weiter.

Kreuzwegandacht mit anschließender Segnung der restaurierten Figuren am Sonntag, 9. April, um 15 Uhr, Beginn an der ersten Station.

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