Possenhofen:Sisis magere Zeiten

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Wenig Fleisch, viel Brei: Toni Glas kocht historische Rezepte nach, die auf Schloss Possenhofen um 1850 in Gebrauch waren.

Sylvia Böhm-Haimerl

Normalerweise ist ja im bayerischen Leberkäse keine Leber enthalten - bei Toni Glas aus Possenhofen aber schon. Glas sammelt alte Rezepte aus der Küche von Schloss Possenhofen. Dabei interessiert ihn insbesondere die Zeit um 1850. Damals war das Schloss im Besitz von Herzog Max in Bayern und dessen Tochter Sisi, die spätere Kaiserin von Österreich. Sie verbrachte dort ihre Jugendjahre. Diese Rezepte kocht Glas nach. "Ich habe mich intensiv mit der Metzgerei aus dieser Zeit beschäftigt", sagt der 64-Jährige. Seither hat er systematisch alles, was heutzutage an Kunstaromen und chemischen Zusätzen in die Wurstwaren gemischt wird, aus seinem Speiseplan gestrichen. "Jetzt mache ich das meiste selbst", so Glas. Anstatt mit Geschmacksverstärker würzt er mit Kräutern - so wie früher.

Sein Vorfahre war Bediensteter im Schloss Possenhofen: Toni Glas kocht jetzt die historischen Rezepte nach und hat die Erfahrung gemacht, dass Herzog Max sehr sparsam lebte. Foto: Treybal (Foto: Georgine Treybal)

Glas entspricht genau dem Typ, wie man sich einen Bayern gerne vorstellt. Er trägt seine Lederhose aus Überzeugung und ist stolz auf seinen Dialekt. Er isst gerne und das sieht man ihm an. Außerdem stand auf seinem Grundstück früher der herzogliche Eiskeller, das verpflichtet. Doch der Grundstein für seine historische Rezepte-Sammlung wurde gelegt, als der gelernte Schlossermeister in einem Antiquariat ein Buch aus dem Jahr 1900 entdeckte mit Metzger- Rezepturen aus der Gegend südlich von München. Um sie nachkochen zu können, hat der Rentner ein Praktikum bei einem Bio-Metzger gemacht. Seither gerät Toni Glas ins Schwärmen, wenn es um die Schloss-Küche geht.

Er hat herausgefunden, dass vor 250 Jahren sogar Wein im Schlosspark angebaut wurde. Und wer glaubt, die bayerische Küche besteht aus Schweinsbraten mit Knödel, den belehrt er schnell eines Besseren. "Den Schweinebraten gab es nur alle paar Wochen, auch beim Adel", erklärt er. Denn das Geld sei knapp gewesen. "Schloss Possenhofen hat ein Wappentier - den Pleitegeier", verrät Glas mit blitzenden Augen. Das sei schon immer so gewesen, und noch heute sei der Gerichtsvollzieher regelmäßig zu Gast in den Luxus-Wohnungen.

Auch unter Herzog Max sei beim Essen aufs Geld geschaut worden. Die Dienstboten bekamen Brei, Mehlspeisen und Körner, Sisis Familie vielleicht noch ein Kompott dazu, weiß Glas. Wenn geschlachtet wurde, mussten die Innereien schnell verarbeitet werden. "Am Montag wurde geschlachtet, also musste spätestens am Dienstag alles verarbeitet sein, man hat Leberkäse, Leber-, Blut- und Brühwürste gemacht." Chemische Zusätze gab es übrigens früher schon. Damit der Leberkäse nicht grau wird, färbte man ihn Karmesinrot. Das Fleisch, das im Eiskeller gelagert wurde, gab es an Festtagen. Wegen des besseren Geschmacks wurden früher der Soße Schweinefüße zugegeben. Die gab es dann am nächsten Tag aufs Brot. Und Sauerkraut wurde gegessen - so viel Sauerkraut, dass man die Kinder der Dienstboten Glas zufolge alle an ihren entzündeten Mündern erkennen konnte.

Glas hat das Leben auf dem Schloss quasi schon mit der Muttermilch übermittelt bekommen. Denn seine Familie lebte schon zu Sisis Zeiten in Possenhofen. Unter den 30 Dienern bei Herzog Max war auch ein Vorfahre von Toni Glas. Die Erfahrungen dieses Mannes wurden in der Familie Glas von Generation zu Generation weitergegeben. Aber was heißt Erfahrungen: Sein Ahne habe die Fensterläden auf- und zu machen müssen, und sei für die Kerzen und das Feuer zuständig gewesen. Die Arbeit dauerte lang. Er habe einen 16-Stunden-Tag gehabt, sieben Tage die Woche. "Aber einen Haxen hat er sich nicht ausgerissen", meint Glas schmunzelnd. Denn immerhin habe sein Vorfahre noch Zeit gefunden, 16 Kinder zu zeugen.

© SZ vom 31.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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