Pöcking:Unrühmliche Geschichte

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Über ein Buch zur NS-Zeit in Pöcking informieren Bürgermeister Rainer Schnitzler (rechts), die dritte Bürgermeisterin Ameli Erhard und die Autoren Erich Kasberge und Marita Krauss (von links). (Foto: Nila Thiel)

Die Gemeinde Pöcking lässt ihre NS-Vergangenheit von Historikern aufarbeiten - nächstes Jahr soll ein Buch erscheinen.

Von Sylvia Böhm-Haimerl, Pöcking

Dass Hitler und seinen NS-Gefolgsleuten in vielen Kommunen die Ehrenbürgerwürde verliehen wurde und Straßen nach ihnen benannt wurden, ist nicht neu. Doch nicht jede Gemeinde lässt ihre NS-Vergangenheit historisch aufarbeiten. In Pöcking stellten ÜWG und Grüne 2014 einen Antrag im Gemeinderat, wonach sich die Gemeinde von den umstrittenen Ehrenbürgerwürden distanzieren sollte. Darüber hinaus sollte die Hindenburgstraße umbenannt werden. Im Gemeinderat einigte man sich auf einen Kompromiss: Die Historikerin und Lehrstuhlinhaberin an der Uni Augsburg, Professor Marita Krauss, die seit ihrem zweiten Lebensjahr in Pöcking wohnt, wurde beauftragt, ein Buch über Pöcking in der NS-Zeit zu schreiben. Unterstützt wird sie dabei von ihrem Ehemann Erich Kasberger, der ebenfalls Historiker ist.

Krauss hat am NS-Dokumentationszentrum in München mitgearbeitet und schreibt aktuell zusammen mit Kasberger an einem Buch über die Münchner Gestapo und NS-Karrieren. Die Recherchen der Autoren zur Pöckinger Geschichte von 1930 bis 1950 füllen inzwischen schon 20 Leitzordner. Obwohl es noch mindestens ein Jahr dauern wird, bis das Buch vorgelegt werden kann, wenden sich Bürgermeister Rainer Schnitzler, Dritte Bürgermeisterin Ameli Erhard und die Autoren schon jetzt an die Öffentlichkeit. Zum einen hat der Gemeinderat die Buchkosten in Höhe von 34 000 Euro (davon werden 20 000 Euro von Sponsoren finanziert) abgesegnet. Zum anderen nehmen Rechtspopulismus und Fremdenfeindlichkeit zu. Laut Schnitzler ist deshalb die Problemstellung aktueller denn je. Die Beispiele Polen, Türkei, aber auch USA zeigen, wie schnell der Rechtsstaat auch heute noch ausgehebelt werden könne, verdeutlichte Krauss. "Es soll keine reine Heimatgeschichte werden", so die Historikerin. Das Buch soll über die Gemeindegrenzen hinauswirken, zumal bislang die NS-Zeit hauptsächlich in den Städten untersucht worden sei. Über ländliche Gebiete wisse man heute wenig. Als Quellen haben die Autoren unter anderem die Akten der Spruchkammern herangezogen, die die Amerikaner initiiert hatten. Damals mussten 2500 Pöckinger in den Entnazifizierungs-Meldebögen begründen, warum sie Partei-Mitglieder waren. Mit Blick auf die These, dass evangelische Wähler empfänglicher für die NSDAP waren, haben die Historiker eine evangelische Gemeinde in Franken zum Vergleich herangezogen sowie Kommunen, die eine Bevölkerung mit gemischten Glaubensrichtungen hatten.

Von besonderem Interesse für die Autoren ist, wie Handlungsspielräume genutzt wurden. Während die einen weggeschaut haben oder gleichgültig waren, haben andere Zivilcourage und Mut bewiesen. So soll etwa Michael Ruhdorfer, Parteimitglied, Ortsgruppenleiter und damaliger Bürgermeister, nichts gegen Bürger unternommen haben, die als Juden verfolgt wurden. In Pöcking sei niemand denunziert worden, betonte Kasberger. Es gab jedoch laut der Autoren durchaus Unterschiede zwischen Pöcking und seinen Ortsteilen. Gesondert betrachtet wird in dem Buch deshalb Schloss Possenhofen mit der Schlosswiese, das in dieser Zeit herzoglicher Wohnsitz, Luftwaffen-Schulungszentrum, Versehrtenkrankenhaus, Internierungslazarett der Amerikaner und nach 1945 Flüchtlingslager war. Auch Zwangsarbeit oder der auffällige Eigentumswechsel bei von Juden bewohnten Villen sollen untersucht werden.

Die Autoren bitten die Pöckinger um Fotos aus dieser Zeit. Sie könnten sehr hilfreich sein, so Krauss. "Es geht nicht darum, jemanden anzuklagen", betont Schnitzler. Es gehe darum, die Geschichte aufzuarbeiten und das Material für künftige Generationen zu erhalten.

© SZ vom 08.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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