Performance in Schondorf:Alles im Fluss

Schondorf Studio Rose, Andreas Kloker

Vorösterliches Ritual: Andreas Kloker bei seiner Wasser-Performance im Schondorfer Studio Rose.

(Foto: Georgine Treybal)

Wasserbilder auf eine Tafel auftragen und beim Trocknen zuschauen - das klingt wenig aufregend. Künstler Andreas Kloker aber macht daraus einen meditativen Abend zum Thema Vergänglichkeit

Von Patrizia Steipe, Schondorf

Den bekannten Passionen, Requiems und Kreuzwegen vor Ostern setzt der Performance-Künstler Andreas Kloker seit zehn Jahren ein optisches Pendant entgegen: Elementar-Zeichnungen nennt der Schondorfer seine Kunst. Eine schwarze Tafel, Wasser, ein Schemel und mehrere Malwerkzeuge genügen Kloker, der 1948 auf Gut Germannsberg im Landkreis Fürstenfeldbruck geboren worden ist, für seine Meditations-Performance "Vor Ostern".

Im Schondorfer Studio Rose haben sich an diesem Abend die Zuschauer zu diesem Event zusammengefunden. Sie sitzen erwartungsvoll auf ihren Plätzen. Still ist es im Raum. Kein Stühlerücken, kein Husten, kein Rascheln stört die Stimmung, Künstler und Besucher betrachten minutenlange eine leere Tafel. Schließlich nähert sich ihr Kloker langsam. Mit einer Sprühflasche sprüht er einzelne unterschiedlich große Wasserkreise auf seine "Malfläche". Kloker setzt sich wieder und alle beobachten andächtig, wie aus den Kreisen Wassertropfen die Tafel runterrinnen, gleichzeitig vertrocknen die Kreise und die Wasserspuren durch die Wärme und Luft. Am Schluss ist nichts mehr zu sehen. Neues Wasser wird aufgetragen.

Kloker zieht mit kammartigen Pinseln breite Streifen, zeichnet Wasserlinien, tupft, schrubbt und sprüht, wischt mit den Fingern über die Tafel - alles ohne Hektik, fast schon in Zeitlupe. Immer bleibt genügend Zeit, um das Werden und Vergehen der einzelnen befeuchteten Flächen und Motive auf der Tafel intensiv zu erleben. Kloker malt mit einer Art Besen einen exakten Kreis auf die Tafel und zieht mit einem dünnen Pinsel zusätzliche Striche. Beim Trocknen entstehen feine Strukturen, manches bleibt länger bestehen, auf die Tafel aufgedrückte Schablonen, die in der Feuchte erst gar nicht wahrnehmbar waren, erscheinen allmählich und vergehen dann wieder. Manchmal hat Kloker dem Wasser einen Hauch Kreidestaub beigemengt. Die weißen Schlieren haben etwas Geisterhaftes. Atompilz oder Geist aus der Flasche? Oder einfach nur abstrakte Schlaufen?

Klokers Elementarzeichnen wirkt wie ein Ritual, dem die Zuschauer in atemloser Stille beiwohnen. Immer wieder nimmt der Künstler vor seinem Werk Platz, sieht ihm geduldig und ohne Bedauern beim Vergehen zu. Dann steht er wieder auf, steigt sogar auf einem Schemel, um möglichst viele Flächen auf der Tafel mit Wasser zu benetzen.

"Wasser auf die Tafel auftragen und beim Trocknen zuschauen" - was langweilig und unspektakulär klingt, bekommt bei dieser Performance plötzlich besondere Spannung. Es fällt gar nicht schwer, sich diesem Zusammenspiel von Entstehen und Vergehen hinzugeben. Hat man jemals schon Zeit gefunden, um die Formenvielfalt und die filigrane Schönheit abtrocknender Wasserspuren zu beobachten? Eine meditative Stimmung stellt sich ein. Die Formen kommen und gehen. Was kommt als nächstes? Die Weltgeschichte scheint sich auf der Wandtafel abzubilden. Doch die erhabenen Gedanken schweifen bei den Zuschauern auch immer wieder ab und machen profanen Erinnerungen Platz. Man denkt zurück an das Tafelwischen zu Schulzeiten, ans Fensterputzen, wo ebenfalls, so wie es der Künstler gerade vorführt, ohne Absetzen gewischt werden muss, um Ränder zu vermeiden.

Auf der Tafel entstehen riesige Mondgesichter. Das mürrische Gesicht trocknet weg, ein fröhliches Gesicht trocknet ebenfalls weg. Vanitas - Vergänglichkeit, vor Gott sind alle gleich, das sind die Gedanken, die sich einstellen.

Kloker hat Markus Rieger zur musikalischen Abrundung seines Auftritts geladen. Der Uttinger stimmt mit seiner Tuba aber keine Melodien an. Vereinzelte sparsam eingesetzte Töne aus dem Instrument vermischen sich mit dem Wischgeräusch der Pinsel auf der Tafel. Es sind angenehme weiche Töne - Urtöne, nichts Grelles oder Lautes - die den Betrachter in einen Wohlfühlkokon einhüllen. Nach einer knappen Stunde setzt Kloker zum letzten Mal mit seiner "Wasserfarbe" an. Bedächtig signiert er sein Werk. "Vor Ostern" und "Kloker" schreibt er auf die Tafel - aber selbst das Autogramm vergeht natürlich nach nicht einmal einigen Minuten.

Im Anschluss teilt Kloker sein selbstgebackenes Brot, Wasser und Wein mit den Besuchern, die nur langsam aus der anderen Welt auftauchen wollen. Ein letzter Blick auf die Tafel. Schwarz glänzend hängt sie an der Wand - keine Spur ist mehr von den Bildern zu sehen. Sie bleiben in der Erinnerungen lebendig.

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