Was hat Ortsgestaltung mit Mut zu tun? Warum dauern manche Beschlüsse und Projekte so lange? Warum müssen teure Planungsbüros beauftragt werden, wenn der Gemeinderat doch selber entscheiden könnte? Knapp 200 Wörthseer haben sich am Freitagabend darauf Antworten erhofft - und sie bekommen. Unter dem Motto "Wörthsee traut sich was" hatte die Gemeinde zur Informationsveranstaltung in die Grundschulaula eingeladen. Eine spannende und unterhaltsame Bürgerbeteiligung mit unerwarteten Ergebnissen. Dass Wörthsee auf Zuzug angewiesen ist, um seine Infrastruktur erhalten zu können, war wohl die größte Überraschung.
Sitzungen, Sondersitzungen und Workshops - "natürlich hat der Gemeinderat einige Vorstellungen und auch Ideen erarbeitet", wie die Zukunft Wörthsees ausschauen könnte, sagte Bürgermeisterin Christel Muggenthal in ihrer Einführung. Aber Wörthsee gehört zu den kleineren Gemeinden im Landkreis, steht bei der Steuerkraft nur auf Platz zehn. "Gerade daher wollen wir kein Geld für doppelte Planung oder unkoordinierte Maßnahmen ausgeben", begründet sie die Entscheidung, sich professionelle Unterstützung zu holen: die Büros Salm und Stegen, Dirtheuer und Ingevost. Warum und wie sich Wörthsee traut, machten vier Vorträge deutlich.
Kommunaler Wohnungsbau
Für eine kleine Kommune gehört schon Mut dazu, ein altes Wirtshaus samt Grundstück zu kaufen, es zu sanieren und Wohnungen zu bauen. Das Projekt "Kirchenwirt" stellte Ortsentwicklungsreferentin Monika Ofer vor. Als klar war, dass sich die Familie Raabe von ihrem Areal in der Steinebacher Ortsmitte trennen würde, war für die Gemeinde eines sofort klar: Der Kirchenwirt muss als Gebäude und als Gasthaus erhalten bleiben. Weil sich Investoren darauf nicht festnageln lassen wollten, nahm die Kommune die Sache selber in die Hand, stellte Anträge auf Förderung und einen Bebauungsplan auf. Auf dem Grundstück sollen nun Mietwohnungen für Normal- und Geringverdiener und ein bisschen Gewerbe entstehen. Die Finanzierung sei zu stemmen, erläuterte Ofer. Aber warum passiert nichts beim Kirchenwirt, außer dass der Bauzaun entfernt wurde, fragen sich die Wörthseer. "Weil mit der Sanierung erst begonnen werden darf, wenn die Gesamtplanung genehmigt ist", sagte Ofer. Als nächstes wird - europaweit - ein Architektenwettbewerb ausgeschrieben. Ofers Ausblick: "Vielleicht können wir noch heuer mit der Sanierung beginnen." Fertigstellung wäre dann Ende 2020/Anfang 2021. Ofer endete mit einem Zitat von Helmut Schmidt: "Das Schneckentempo ist das normale Tempo jeder Demokratie."
Wohnungsbau-Genossenschaft
Viel Mut zeigt gerade der Verein "Wohnen am Teilsrain". Die etwa 50 Mitglieder und ihre Vorsitzende Ulrike Huch wollen auf einem Grundstück zwischen Kinderkrippe und Kuckuckstraße ein genossenschaftliches Wohnmodell verwirklichen, ob als eigene Wörthseer Genossenschaft oder unter dem Dach einer bestehenden, entscheidet sich im April. "Gemeinsam bauen, planen und beleben" lautet das Motto. Innovative Wohnformen könnten realisiert werden für Paare, Familien und Singles, für Jung und Alt, sagte Huch. "Nicht jeder braucht ein Einfamilienhaus oder eine Doppelhaushälfte", meinte sie. Der nicht eingetragene Verein trifft sich jeden zweiten Dienstag im Monat bei der Nachbarschaftshilfe, Am Teilsrain.
Dorfladen Wörthsee
"Wir haben uns schon getraut", sagte Hanna Weber vom Verein "WIR - Wörthsee isst regional". Freilich war auch sie hautpsächlich damit beschäftig zu erklären, warum es so lange dauere mit dem Dorfladen, denn die Diskussion darüber läuft seit 2014. Zum einen deshalb, "weil wir alle keine Experten sind". Zum anderen musste der Verein vor allem warten: Auf eine geeignete Immobilie, auf die Förderzusage der EU, auf die Genehmigung der Nutzungsänderung für die ehemaligen Sparkassenräume und schließlich auf den Mietvertrag mit der Kreissparkasse selbst. Zum 1. März soll er nun unterschrieben sein. "Dann wollen wir ein kleines Fest feiern", sagte Weber. Mitte Februar soll das Geld der 210 Anleger eingezogen werden. Betrieben wird der Dorfladen von einer haftungsbeschränkten Unternehmergesellschaft. Der Mietvertrag vorerst läuft über fünf Jahre. Danach, so die Vorstellung, würde der Dorfladen gerne in das Areal Kirchenwirt umziehen.
ISEK
"Integriertes städtebauliches Entwicklungskonzept" lautet der sperrige Titel des Instruments, mit dem Wörthsee seine Zukunft gestalten möchte. Rafael Stegen und Volker Salm haben dafür interessante Zahlen herausgefunden. Danach sind 75 Prozent der Wohngebäude in Wörthsee Einfamilienhäuser. 226 Häuser werden nur von einer Person bewohnt, von denen wiederum 135 älter als 65 Jahre sind. Ihr Fazit: Die Gemeinde muss mehr Angebote für Wohnen im Alter schaffen. Weil Wörthsee überaltert, die Zahl der gebärfähigen Frauen und damit die der Geburten sinkt und die Bevölkerungszahl stagnieren wird, braucht die Kommune unbedingt Zuzug, sagte Salm. Weiter Kinderbetreuungseinrichtungen seien dafür nicht nötig. Was die Wörthseer ohnehin wissen, fasste Verkehrsplaner Christian Fahnberg zusammen: Es fehlt an sicheren Geh- und Radwegen sowie Querungshilfen, an Fahrradabstellplätzen und Parkplätzen vor allem an schönen Sommertagen. "Es besteht verkehrlicher Handlungsbedarf", fasste Fahnberg zusammen.
Bei Käse, Rotwein und Trauben diskutierten die Wörthseer anschließend noch lange mit den Experten und untereinander. Auf Luftbildern konnten sie ihre gewünschte Ortsmitte markieren und die Plätze, wo ihrer Meinung was geschehen müsse.