Ordensschwester:Die Unermüdliche

Schwester Josefa Knab ist mit 95 Jahren ebenso alt wie die Ambulante Krankenpflege Tutzing. Jahrzehnte sauste sie durch den Ort, um zu helfen

Interview von Manuela Warkocz, Tutzing

Sie sitzt kerzengerade auf der Eckbank im Besuchszimmer des Klosters, ein Kissen untergeschoben. Ganz pragmatisch wusste sich die nur knapp 1 Meter 50 große und überaus zierliche Schwester Josefa Knab ein Leben lang zu helfen. Ihren 95. Geburtstag hat die Inhaberin der Tutzinger Bürgermedaille am 18. November in ihrem Zuhause, dem Kloster der Missions-Benediktinerinnen, gefeiert. Die Ordensschwester ist damit genauso alt wie der 1921 gegründete Verein Ambulante Krankenpflege Tutzing. Dessen prägende Gestalt war Schwester Josefa 33 Jahre lang. Viele Ältere erinnern sich, wie "der Engel von Tutzing" auf dem Fahrrad durch den Ort sauste. Hellwach, gesegnet mit einem bewundernswerten Gedächtnis und Humor erzählt sie, was der frühe Tod der Mutter für sie bedeutete, wie sie nach Kriegsende in Tutzing ankam, welche fahrbaren Untersätze ihr im Lauf der Jahrzehnte die Arbeit erleichtert haben und wie sie nicht nur bei Nachtwachen am Krankenlager von Tutzingern bei Kräften gehalten wurde.

SZ: Schwester Josefa, Sie haben ja für diverse Chroniken Ihre Erlebnisse schon öfter geschildert . . .

Schwester Josefa: Wenn es doch der guten Sache dient, dann will ich gerne helfen.

Der Wunsch, anderen zu helfen, ist Ihnen der in die Wiege gelegt? Wie war es bei Ihnen zu Hause?

Meine Eltern hatten eine Landwirtschaft an der Donau im Kreis Riedlingen. Ich komme aus einer großen Familie. Ich war die vierte von 13 Geschwistern. Die Mutter ist früh gestorben an einer Kropfoperation. Meine ein Jahr ältere Schwester hat dann den Haushalt geführt. Ich hab sie unterstützt. Wir mussten daran denken, was die einzelne dann weiter tun sollte. Ich hatte drei Winterhalbjahre noch die Hauptschule gemacht. Mit meinem Vater, der sich sehr um uns sorgte, wurde dann beschlossen, dass ich in die Krankenpflegeschule nach Ravensburg gehe.

Ihr medizinisches Interesse war also schon früh geweckt?

Ich hatte da mal einen Abszess am Bauch und musste ambulant ins Krankenhaus. Wie mich die Schwestern da verbunden und behandelt haben - das hat mir sehr zugesagt. Das wurde mir dann zum stillen Wunsch.

Wie kam Ihre Hinwendung zum Kloster?

In Ravensburg lernte ich schon ein bisschen das klösterliche Leben kennen, bei den Franziskanerinnen, den Barmherzigen Schwestern im Krankenhaus. Wir waren auch gebeten, als Schutz die Caritas-Kleidung anzuziehen, ein gestreiftes Kleid und ein Häubchen.

Ordensschwester: Schwetser Josefa Knab aus Tutzing wurde am 18. November 95 Jahre alt.

Schwetser Josefa Knab aus Tutzing wurde am 18. November 95 Jahre alt.

(Foto: Arlet Ulfers)

Sie haben sich dann entschlossen, zu den Missions-Benediktinerinnen nach Tutzing ins Kloster zu kommen.

Ja, das war zu Kriegsende. Ich musste vier Wochen auf meinen Passierschein warten und mein Vater, der mich zur Bahn brachte, hatte weite Umwege zu fahren, weil viele Brücken über die Donau gesprengt waren. Am andern Tag kam ich in Tutzing an.

Da hat eine Dame mich am Bahnhof angesprochen, wo ich denn hin will. Sie hat meinen Koffer genommen und gesagt: "Ich kenn' mich aus, ich bring Sie an die Klosterpforte".

Ein netter Empfang in Tutzing . . .

Ja, wirklich. Sie hat geläutet und gesagt: "Ich bring Ihnen hier eine junge Schwester." Ich habe sie später getroffen. Sie war eine Sprechstundenhilfe bei einem Arzt, mit dem ich viel zu tun hatte.

Was hat Sie hier erwartet?

Das Haus war als Lazarett hergerichtet. Da habe ich nach einer Eingewöhnungszeit im Kloster bei den Patienten mitgeholfen.

Aber es zog Sie in die Ferne.

Als die Pforten wieder für die Mission geöffnet waren, wollte ich ursprünglich auch fort, auf die Philippinen. Ich hatte den weißen Habit schon anprobiert. Als ich gebeten wurde, die ambulante Krankenpflege am Ort zu übernehmen, habe ich dann gedacht: In deinem Namen, Herr, bleibe ich in Tutzing. Das war 1950. Und bald habe ich gemerkt, dass mich die Krankenpflege und das Kloster sehr ausfüllen.

Worin bestand Ihre Aufgabe?

Ich habe die Versorgung Kranker und Hilfsbedürftiger übernommen, wie es eigentlich schon 1887 angefangen hatte unter Monsignore Simon Schmid mit den ersten Schwestern, im alten Klösterlein. Dort war viele Jahre die Meldestelle. Es gab einen Schrank und ein Fahrrad. Die Leute haben jemanden an die Pforte geschickt oder mich angesprochen, wenn Sie mich gebraucht haben.

Ordensschwester: So kannten sie viele Tutzinger - im Einsatz für Bedürftige mit ihrem Dienstwagen, einem VW Käfer.

So kannten sie viele Tutzinger - im Einsatz für Bedürftige mit ihrem Dienstwagen, einem VW Käfer.

(Foto: Arlet Ulfers)

Und dann?

Nach Chorgebet und Frühstück konnte ich täglich an die Arbeit gehen und mittags und abends wieder heimkehren. Das war mir eine große Hilfe - immer an den gedeckten Tisch kommen, mich nicht um Kleidung kümmern. Sonst hätte ich es nicht geschafft. Ganz groß war die Not. Ich habe in Tutzing die Pfahlbauten erlebt nach dem Krieg, die vielen Flüchtlinge. Vor allem Alte, Behinderte, Schwerkranke und Sterbende waren zu betreuen. Da waren Menschen, die eine Ganzwaschung brauchten oder Narbenpflege. Es gab in einer Flüchtlingsfamilie ein blindes Kind. Da war die Mutter froh, wenn ich mit ihr und dem Kind sprach. Alles geschah in enger Zusammenarbeit mit dem jeweiligen Pfarrer, der das Seelsorgerische übernommen hat und dem Verein bis heute vorsteht.

Im Lauf der Jahre hatten Sie diverse fahrbare Untersätze, um zu den Häusern am Berg zu kommen oder in die Dörfer.

Zuerst war ich fünf Jahre mit dem Fahrrad unterwegs, dann mit einem Moped. Bis ein Herr sagte, er könne das gar nicht mehr sehen und eine Isetta spendiert. Die war praktisch, weil man den Beifahrersitz ausbauen und zum Beispiel einen Nachtstuhl mitnehmen konnte. Aber bei Glätte war sie unsicher, hinten Schmalspur. Für einen VW Käfer hatte der Verein aber nicht genug Geld. So habe ich 40 Briefe geschrieben, auch an Tutzinger Geschäftsleute. Bürgermeister Zirngiebel und andere haben dann so viel gespendet, dass der Käfer gekauft werden konnte.

Samt Sitzheizung für den Winter, weil Sie sich mal eine Lungenentzündung eingefangen hatten.

Ich weiß noch, dass ich unterwegs war, sehr müde, nass und wohl schon fiebrig und dachte, wenn jetzt ein Auto käme und mich mitnähme. Irgendwie bin ich noch heimgekommen, aber dann wurde ich krank. Ein andermal hat mich eine Gehirnhautentzündung drei Wochen außer Gefecht gesetzt.

Wie lief das dann? Sie machten die Arbeit ja allein.

Schicksale im Blick

Unter der Ägide des Tutzinger Pfarrers Joseph Boeckeler übernahmen die Missions-Benediktinerinnen die Aufgabe, Mitbürger zu pflegen. 1921 wurde dazu eine Vereinbarung mit der Gemeinde geschlossen und der Verein "Ambulante Krankenpflege Tutzing" (AKP) gegründet. Aus diesen Anfängen heraus ist bis heute der Pfarrer der katholischen Pfarrei St. Joseph gleichzeitig der Vorsitzende der "Ambulanten", wie die Tutzinger salopp sagen. Dieses Amt übt seit dem Jahr 2000 Pfarrer Peter Brummer mit viel Umsicht aus, unterstützt von Vorstandsmitgliedern aus Kloster, Gemeinderat und Ärzteschaft - und im ökumenischen Wirken mit der evangelischen Pfarrerin Ulrike Wilhelm.

"Aus dem Pflänzchen ist über die Jahrzehnte ein mächtiger Baum gewachsen", freut sich Brummer über die Entwicklung des Vereins in 95 Jahren. Stets seien Fürsorge und Nächstenliebe, der kranke, auch sterbende Mensch, im Mittelpunkt gestanden. Wie hoch geschätzt die AKP ist, zeigen die steigenden Mitgliederzahlen: 1200 Bürger gehören dem Verein an und zählen auf seine Hilfe.

Als Geschäftsführer hält Armin Heil die Fäden in der Hand und hat die menschlichen Schicksale im Blick. 100 Mitarbeiter und 80 Ehrenamtliche sind der Motor der zahlreichen Tätigkeitsfelder, um Pflegebedürftigen und Angehörigen in Tutzing und seit acht Jahren auch in Starnberg zu helfen. Das Spektrum umfasst heute häusliche Krankenpflege, Besuche zur Pflegeberatung und Hauskrankenpflegekurse, Hausnotrufservice, Betreutes Wohnen in 33 Wohnungen, Betreuung Demenzkranker, ein Palliativ-Netzwerk und ein Forum für pflegende Angehörig.

Ein Förderverein trägt jedes Jahr mehr als 100 000 Euro an Spenden für die AKP zusammen. So kann man optimistisch sein: Der Neubau für eine ambulante Tagespflege mit 16 Plätzen und Mitarbeiterwohnungen auf dem Gelände des ehemaligen Quinthauses an der Traubinger Straße soll am 1. Mai 2017 eröffnet werden. Das Anwesen hatten Pfarrer Johannes Quint und seine Schwester Maria 1982 der Kirchenstiftung vererbt.manu

Ilse Kreiselmayer, eine junge verheiratete Krankenschwester, hat mich viele Jahre vertreten. Und wenn ich eine Nachtwache hatte, dann ist Schwester Gothild tagsüber eingesprungen. Ein Flüchtlingsbub, der jetzige immer noch jugendliche Mesner Rudi Strunz, hat mir viel geholfen. Er kannte die Wege, die Familien, und dem konnte ich was auftragen, wo er ein Holz zum Heizen hinauftragen sollte.

Tutzing wuchs enorm. Waren es um 1900 erst 2000 Einwohner, lebten 1970 schon fast 7000 Menschen hier. Was bedeutete das für die Ambulante Krankenpflege?

Die Aufgaben wuchsen unaufhörlich. Im Krankenhaus wurde eine Krankenpflegeschule eröffnet. Ich habe beim Bürgermeister anschlagen lassen, dass man sich in 20 Stunden Abends für häusliche Krankenpflege ausbilden lassen kann. 16 Damen kamen und halfen dann mit. Erst ehrenamtlich, später erreichten wir beim Sozialamt Starnberg und der AOK, dass sie acht Mark die Stunde bekamen. Das war viel. Viele haben das aber wieder gespendet.

Und sie selbst arbeiteten für Gottes Lohn?

Ich durfte 30 Pfennig aufschreiben. Aber die Bürger waren uns gegenüber in vieler Hinsicht sehr hilfsbereit und großzügig.

Sie durften ja sogar auf Schlitten mitfahren, oder?

(Lacht) Das war so, dass in Oberzeismering die Mesnerin vom Kirchlein sehr damit gerechnet hat, dass jeden Tag jemand kommt und nach ihr schaut. Das hab ich getan, auch bei Kälte und Schnee, als ich noch kein Fahrzeug hatte. Hinunter zur Weilhemer Straße nahmen mich tatsächlich oft Kinder mit, die da Schlitten fuhren.

Hat man Ihnen gern auch mal ein Schnapserl zum Aufwärmen angeboten?

Das jetzt nicht. Aber die Familie Lodenfrey, die hier ansässig ist, hat mir einen warmen, grauen Lodenmantel geschenkt. Ein Wintermantel gehörte damals noch nicht zur Ausstattung für die Schwestern. Und bei einer Metzgerei, wo der alte Vater zuckerkrank war und ich jeden Tag zum Spritzen kam, hat mir die Frau manchmal eine Suppe mit einem Ei gegeben. Auch bei Nachtwachen gab es oft zu essen. Insgesamt gab und gibt es viel Wohlwollen und solidarische Hilfe, etwa von der Caritas, auch für meine Nachfolgerinnen Schwester Gertrud und Schwester Maria Birgit.

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