Naturkunde:Die seltenen Orchideen von Andechs

Sie blühen nur in diesen Tagen: Am Mesnerbichl wachsen ganz besondere Blumen. Margit Hiller führt zu ihnen und erzählt deren Geschichten.

Von Carolin Fries

Margit Hiller ist begeistert, aber anstatt in Jubelrufe auszubrechen, verharrt sie ganz ruhig auf der Wiese, den Blick auf die rosa-weiße Sumpf-Stendelwurz zu ihren Füßen gerichtet. Mit der Lupe geht sie ganz nah ran, um die filigranen Blütensporne zu begutachten. Ein kurzes Lächeln, dann gibt sie die Lupe weiter an Hildegard Heinrich. Geräuschloses Staunen auch bei ihr. "Mich wundert direkt, dass es sowas noch gibt", sagt sie. Das kleine Wunder ist eine Orchidee, die - das ist das große Wunder - in Andechs am Mesnerbichl wächst.

Etwa vier Wochen lang im Jahr, bis etwa Mitte Juli noch, blühen hier abseits der gewöhnlichen Spazierwege botanische Raritäten, darunter verschiedene Lilien und Orchideen. Die Wiesen in der hügeligen Sumpflandschaft sind seit 1941 Naturschutzgebiet. Margit Hiller aus Krailling kennt das Gebiet gut, ihr Großvater hat der heute 53-Jährigen einst gezeigt, was sich hier auf den Wiesen alles finden lässt. Der Spaziergang zu den Knabenkräutern am Mesnerbichls wurde für sie ebenso zum Ritual wie die Ausflüge zu den Frauenschuhen in der Pupplinger Au und den Christrosen am Pendling bei Kufstein. Inzwischen bietet Margit Hiller selbst jedes Jahr eine handvoll botanischer Führungen in Andechs an, unentgeltlich. "Man kann nur wertschätzen, was man kennt", sagt sie.

Ihre Feierabendtouren beginnen um 18 Uhr, Treffpunkt ist ein Parkplatz am Ortsrand. 14 Teilnehmer warten diesmal, überwiegend ältere Semester. Katharina Wörle, 31, und Ann-Sophie Heldele, 28, aus Weilheim sind die jüngsten in der Runde. Sie haben beim Dönerladen einen Flyer gefunden und spontan entschieden, die knapp dreistündige Runde mitzugehen, um "die Gegend ein bisschen kennenzulernen". Alexandra Schlembach und ihre Freundin aus Feldafing schwitzen gewöhnlich zusammen beim Bauch-Beine-Po-Kurs. Stattdessen gibt es diesmal seltene Blumen. Mit dabei ist außerdem Hobby-Fotograf Heinrich Schwienbacher aus Puchheim. Er kann es kaum erwarten, die ersten Blüten vor die Linse zu bekommen. Die Makro-Fotografie ist seine Lieblingsdisziplin. "Ich hab' die alle schon mal fotografiert, allerdings ohne zu wissen, um was es sich dabei handelt."

Margit Hiller kann recht bald ein rotes Waldvögelchen am Wegesrand präsentieren, dass versteckt unter jungen Buchentrieben wächst. Dann zeigt sie einen Türkenbund, benannt nach der ballonartigen Kopfbedeckung der türkischen Sultane, der im Wald scheinbar blütenlos wächst - derart beliebt sind seine Blütenknospen bei Rehen. Die technische Redakteurin kann aber auch über die Tollkirsche und ihren Wirkstoff Atropin erzählen, den sich die adeligen Frauen einst verdünnt in die Augen träufelten, um mit einem ausdruckstärkeren Blick Eindruck zu machen. Auch dass der Schwalbenwurz früher als Brechmittel eingesetzt wurde und das gelbe Labkraut dem Cheddarkäse seine Farbe gab, weiß die Kraillingerin in kleinen Geschichten zu erzählen. Das macht ihre Führungen besonders interessant, weil nicht nur hübsche Orchideen, sondern auch vermeintlich unscheinbare Pflanzen wie der Klappertopf und der Alant gewürdigt werden.

Andechs Orchideen- Wanderung

Die blühenden Sumpfgladiolen sind ein beliebtes Fotomotiv. Margit Hiller (gelbes Shirt) wartet geduldig, bis sie zu den nächsten botanischen Raritäten am Mesnerbichl führt.

(Foto: Georgine Treybal)

Im Gänsemarsch geht es über schmale Trampelpfade durch die Wiesen, die unter anderem die letzten Sumpfgladiolen Bayerns beheimaten. In einem kräftigen pink-violett leuchten die zarten Blüten in der Abendsonne zwischen weißen Graslilien und Wollgras in ungewohnter Schönheit. "Die Wiesen in Bayern sind immer gelb", hatte Margit Hiller noch zu Beginn der Tour gesagt. Löwenzahn und Hahnenfuß kämen eben gut zurecht mit einer hohen Nitratkonzentration durch häufiges Düngen und mehrmaliges Mähen. Die Lilien und Orchideen indes schätzen den mageren Boden und das beständige Wachstum. Sie sind anspruchsvoll in ihrer Anspruchslosigkeit - was die prachtvollen Pflanzen noch sympathischer macht. Die Lieblingsorchidee von Margit Hiller ist die Sumpf-Stendelwurz. "Sie ist im Blütenaufbau der Prototyp der Orchidee", schwärmt sie.

Bevor es mit Blick auf das Kloster und die untergehende Sonne zurück zum Parkplatz geht, präsentiert die Hobby-Botanikerin noch einen Gelben Enzian. Knapp eineinhalb Meter hoch stehen die verwelkten Blütenstände. Aus seinen Wurzeln wird der bittere Schnaps gebrannt - auch wenn die meisten Etiketten die blaue Blüte des Bergenzians zeigen. So auch die Flasche, die Margit Hiller aus ihrem Rucksack zieht, um auf diese vergängliche Schönheit anzustoßen. "Es gibt keinen bittereren Geschmacksstoff aus der Natur."

Infos und Termine zu den Orchideenwanderungen unter http://steinundkraut.de/vortrag.php

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