Musik:Großmeister des Blues

Gauting Bosco, 2. Bluesnacht

Phänomenal: Big Joe Maher, Anson Funderburgh, Eric Przygocki und Christian Dozzler (von links) bei der Bluesnacht im Bosco.

(Foto: Georgine Treybal)

Bei der Musiknacht im Gautinger Bosco spielen der texanische Gitarrist Anson Funderburgh, seine Band "The Rockets" und der singende Schlagzeuger Big Joe Maher aus Washington Songs zum Niederknien

Von Gerhard Summer, Gauting

Es gibt einige Überraschungen an diesem Abend, aber mit am erstaunlichsten ist, wie dieser merkwürdige Drummer durchstartet. Big Joe Maher aus Washington D.C. sitzt anfangs völlig unbeteiligt da und spielt aus dem Handgelenk mit, sehr locker und wie nebenbei. Trotzdem sieht das aus, als wäre er auf seinem Hocker festbetoniert oder vom letzten Konzert irgendwie übrig geblieben. Ein Mann mit der Beweglichkeit einer Immobilie. Doch dann greift er sich das Mikro, singt erst ein Geburtstagsständchen für "Fräulein Julie", einen weiblichen Fan, und legt schließlich mit einer tiefschwarzen Stimme so gewaltig los, dass alle Sänger vorher wie brave Gesangsschüler wirken.

Ja, so muss der Blues wohl klingen: mühelos swingend, rhythmisch raffiniert und mit Tiefgang, mal im Flüsterton, mal herausgeschrien. Dieser Big Joe Maher singt völlig ungekünstelt und hat einen bemerkenswerten Stimmumfang, allein ihn zu hören, den laut Eigenbeschreibung "unberechenbarsten" Drummer der Musikgeschichte, wäre den Eintritt zu der umjubelten Bluesnacht im vollen Bosco schon wert. Aber der Schlagzeuger gibt kein Solo, er kommt mit einer Band auf die Bühne, die in Texas Legendenstatus hat und in Gauting das einzige Deutschlandkonzert auf ihrer Europatour 2017 gibt: Anson Funderburgh & The Rockets. Und die Formation macht nach ein paar Nummern ihres aus Österreich stammenden Keyboarders Christian Dozzler ("The Blues and a Half", "All about the Music") gerade den Slow Blues zur aufregendsten Sache der Welt.

"Your turn to cry" heißt das Stück, das einem mitten ins Gemüt fährt. Wobei die dramatische Wirkung mit zwei Dingen zu tun hat: mit einem dynamischen Kniff, zwischendrin geht's nämlich ins Piano und sogar Pianissimo, und mit Funderburghs ungewöhnlich vokalem Stil. Dieser zurückhaltende Gitarrist ist wie Maher ein Mann der Herzenstöne. Er spielt nicht das Naheliegende, was die Sache spannend macht. Er schüttelt auch keine Instant-Riffs aus dem Ärmel, sondern hört darauf, was der Song braucht. Wer einschmeichelnd warmen Sound erwartet, ist bei ihm an der falschen Adresse. Seine Stratocaster klingt scharf schneidend an der Grenze zum Schrillen. Zwischen seinen kraftvollen, jazzig angehauchten Linien lässt er Luft, Bendings setzt er recht dezent ein, Plattitüden spart er sich. Und so wirkt Funderburghs Spiel ungemein frisch, überraschend, auf den Punkt und außerdem wie das Gegenstück zur weit verbreiteten Griffbrettraserei.

Im Endeffekt ist diese von dem Pianisten Ludwig Seuss organisierte Bluesnacht ohnehin ein Plädoyer für den Old Style im Blues und die Stärken des Minimalismus. Schon die Down Home Percolators aus Frankfurt machen das vor: Harp und Akustikgitarre, zweistimmiger Gesang - so funktioniert sogar Duke Ellingtons "Don't get around much anymore" und Songs von Muddy Waters, den Mississippi Sheiks ("Sitting on top of the World"), Woody Guthrie und Louisiana Red sowieso. Klaus Killian und Bernd Simon spielen "alten Kram aus den Dreißiger- bis Fünfzigerjahren", wie sie sagen, und das erdig, pfeilgerade, mit viel Groove und ohne Schnörkel. Killian ist an der Mundharmonika eine Wucht, er lässt sein Instrument quäken, klagen oder glasklar klingen, verzettelt sich in seinen Alleingängen aber nicht. Simon steuert ein paar vor Kraft strotzende Solos bei, weniger ist eben doch manchmal mehr.

Was natürlich genauso für Funderburgh & The Rockets und ihren phänomenalen Schlagzeuger gilt. Bassist Eric Przygocki beispielsweise hält so clever mit der Bassdrum mit, dass man ihn kaum wahrnimmt, Gentleman John Street legt seine Orgelakkorde wie feingewirkten Teppich aus, und der singende Keyboarder Dozzier ist als Pianist ebenfalls ein Mann der alten Schule. Die Band hat noch einen zweiten Slow Blues auf Lager, der auch wieder in den Flüsterton zurücksinkt, aber mehr nach Tom Waits und "Down by Law" klingt, dazu eine Zydeco-Nummer von Clifton Chenier ("I'm coming home") und den Song "What the hell were you thinking", den Tom Hambridge und die Grammy-Gewinner Delbert McClinton und Kevin Kevin McKendree offenbar wegen des Textes dem unberechenbarsten aller Schlagzeuger überließen. Dazu gibt's etliche schnelle Nummern wie Mahers mitreißenden Blues "Thunder and Lightning" und zum Finale eine kleine Session mit Seuss und Killian.

Bleibt nur noch die Frage, warum auf Big Joe Mahers Bassdrum der Namenszug Claudia Koreck prangt. Die Sache ist die: Das Vintage-Set stammt vom Drummer der Ludwig-Seuss-Band, der auch für Koreck trommelt. Und so viel Zeit, die Schrift wegzumachen, war nicht mehr.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: