Moderne Mythen:Mit Neopren und Dreizack

Rettungstaucher Jürgen Kneisel schlüpft am Sonntag wieder in die Rolle des Neptun und kommt am Campingplatz am Pilsensee aus dem Wasser. Dieser Auftritt lockt viele Schaulustige an

Von Astrid Becker

Ruhig schwappen die Wellen an diesem Abend auf das Ufer des Pilsensees. Und dann ist da auf einmal Licht. Aus den Tiefen des Wassers dringt es an die Oberfläche. Ein Zischen und Brodeln ist zu hören. Dann beginnt das Wasser zu blubbern. Etwas gruselig ist das Ganze im ersten Moment schon. Plötzlich taucht eine Goldkrone aus dem Dunkel des Gewässers auf. Die Spitzen eines Dreizacks sind zu sehen, und dann erscheint er in voller Größe: Neptun, der Herrscher dieses Sees. Am Sonntag um 17 Uhr werden das wieder unzählige Schaulustige erleben.

Längst schon zieht Neptun nicht nur Menschen aus Seefeld und Umgebung an. Viele Münchner kommen mit ihren Kindern auf den Campingplatz am Pilsensee, Wenn man so will, hat die Wasserwacht dort mit dieser Aktion moderne Sagengeschichte geschrieben. Denn wer sich in den Mythen und Legenden der Region vertieft, wird kaum etwas über den Pilsensee finden, wohl aber über die Grafen Toerring, zu deren Besitz der See gehört. Vielleicht ist das auch ein Grund dafür gewesen, warum 1991 der damalige Vorsitzende der Wasserwacht, Hans Georg Hofmaier, auf die Idee mit dem Neptun kam.

Seefeld Pilsensee Neptun

Eigentlich ist Neptuns Reich ja das Meer, aber in Seefeld wird der römische Mythos kurzerhand in den Pilsensee verlegt.

(Foto: Georgine Treybal)

Der wichtigste Grund für die Erscheinung aus dem See dürfte jedoch die Aufmerksamkeit sein, die der Wasserwacht damit in den für sie eher ruhigen Wintermonaten zuteil wird. Denn so etwas wie den Neptun gab es zumindest damals im Fünfseenland noch nicht. Mittlerweile haben beispielsweise die Bucher die Idee aufgegriffen und ein wenig umgewandelt: Dort steigt jedes Jahr ein "Wasserwicht" aus dem See.

1991 mimte Hofmaier den "Neptun" übrigens selbst - er war zu diesem Zeitpunkt der einzige Rettungstaucher bei der Wasserwacht am Pilsensee. Diese Tatsache verrät schon, welche Voraussetzungen jemand für die Neptunrolle mitbringen muss: Er muss eiskaltes Wasser aushalten können. Denn trotz Neoprenanzuges ist das nicht Jedermanns Sache.

Jürgen Kneisels allerdings schon. Er steigt seit etwa 15 Jahren als Neptun in den Pilsensee. "Eine Ehre und eine große Freude ist das", sagt der 41-jährige Gilchinger. Weil er vielen Kindern damit eine Freude bereite, erzählt er. Der Neptun hat stets auch einen Sack mit kleinen Geschenken dabei. In die "Neptungspackerl" packt die Wasserwacht Obst, das eine örtliche Gaststätte, der "Pilsenhof", stiftet und Plätzchen, die von der Jugendgruppe der Wasserwacht selbst gebacken werden, sechs bis sieben verschiedene Sorten. Verteilt werden sie immer nicht nur am See, sondern auch an Patienten des Krankenhauses Seefeld (Mittwoch, 15 Uhr).

Seefeld Pilsensee Neptun

Manuela Wunderl von der Wasserwacht am Pilsensee.

(Foto: Georgine Treybal)

Kneisel ist schon seit 28 Jahren bei der Wasserwacht, er war in verschiedenen Ortsgruppen. An den Pilsensee kam er durch seine Frau Claudia, die eine der 47 aktiven Mitglieder dort ist. Kneisel verbindet viel mit der Wacht: Damals, in seinen Anfangszeiten als pubertierender Teenager mit Wachstumsstörungen, hatte ihm sein Orthopäde empfohlen, viel zu schwimmen. Da er Wasser liebte und auch Lust auf das Tauchen hatte, ging er zur Wasserwacht. In dieser Zeit absolvierte er alle möglichen Ausbildungen, vom Rettungsschwimmer, über den Sanitäter bis hin zum Rettungstaucher. Der Wasserwacht verdankt er auch seinen heutigen Beruf: Kneisel ist Notarzt und Orthopäde. "Weil dort mein Interesse, mehr über Medizin zu wissen, immer stärker wurde", sagt er.

Mittlerweile gibt es bei der Wasserwacht am Pilsensee längst mehr als einen Rettungstaucher. Aber nur einer wird sich am Sonntag wieder in den schwarzen Neoprenanzug zwängen, sich ein weißes Gewand überziehen, das mit einem Fischernetz, Seetang und Muscheln verziert ist, sich die Krone aufsetzen, mit dem Dreizack in die Fluten steigen und bis zum schlammigen Seegrund versinken.

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