Mitten in Starnberg:Länger leben im Stau

Oder was ist Lebenselixir und Seelenbalsam der Starnberger

Von Gerhard Summer

Das ist schon interessant: Der männliche Starnberger lebt im Schnitt 81,3 Jahre, bevor er das Zeitliche segnet, meldet das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung. Was natürlich der Rekord in Deutschland ist. Frauen machen es noch ein wenig länger, nämlich 85 Jahre, das aber nur im Kreis Breisgau-Hochschwarzwald. Warum das so ist, weiß keiner so genau. Wenn einer das Rätsel lösen könnte, dann womöglich der Starnberger oder die Starnbergerin. Ihnen ist schließlich alles zuzutrauen. Sie haben das höchste Pro-Kopf-Einkommen aller deutschen Landkreise, die höchste Kaufkraft, die herrlichsten Villen, die Gene des friedfertigsten und bauwilligsten aller Könige und selbstredend die meisten Cabrios. Die Welt schreibt dazu: Im Landkreis Starnberg "können 5,9 Prozent aller zugelassenen Pkw das Dach ablegen und die Sonne reinlassen". Ja, ganz genau so ist das. Was der Starnberger nicht oder nur selten hat, ist auch klar: Leberkrebs und Zeit im Überfluss. Denn erstens trinkt er oder sie mindestens vier Tassen Cappuccino oder Espresso am Tag in einem dieser hinreißenden Cafés am mondänen See, was Studien zufolge das Krebsrisiko drastisch senkt. Und zweitens ist der Starnberger so oft auf Büffeljagd in Südafrika, dass er sich mit Belanglosigkeiten in Baden-Württemberg kaum befassen kann.

Warum aber wird der Mann so alt? Es liegt wie immer am Geld, glauben die Raumforscher. Aber das ist, mit Verlaub, Unfug. Es liegt am Stau! Denn das kollektive Stehen in der Kolonne beruhigt, senkt sanft den Blutdruck, normalisiert den Puls und macht möglich, was in der Hektik des Tages deutschlandweit sonst so gern vernachlässigt wird: die immens wichtige Kommunikation mit den Mitmenschen, ob sie nun im VW-Golf oder Porsche Carrera hocken. Der Stau ist purer Seelenbalsam und das Lebenselixier der Seeanwohner. Wenn der Starnberger also mal wieder die Welt gerettet hat und auf dem Nachhauseweg schon ein paar Kilometer vor der Stadt auf die Bremse tritt, übrigens mit handgenähten Schuhen, dann ist er nicht nur im Stau gelandet. Nein, in Wahrheit tankt er Energie auf. Legt das Dach ab. Lässt die Sonne rein. Für neue Taten! Neue Rekorde! Enoch Arnold Bennett, ein englischer Autor, hat erklärt: "Ein Mensch mit sechzig war zwanzig Jahre im Bett und hat drei Jahre gegessen." Wer älter als achtzig werden will, sollte unbedingt noch zwanzig Jahre im Stau stehen.

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