Mitten im Herbst:Der Mensch ist kein Igel

Und er ist auch nicht wechselwarm: Zu solch unerwarteten Einsichten können eiskalter Wind und Schneeregen führen

Kolumne von Felix Wendler

Laut Kalender umfasst das Jahr zwölf Monate. Nicht alle davon, das ist ziemlich sicher, sind gleichermaßen beliebt. Würde man zum Beispiel in diesen Tagen eine Umfrage am Bahnhof durchführen, fände der November sicherlich nur wenig Anklang. Der Befragte, gerade auf dem Weg zur Arbeit und fröstelnd auf den Bus wartend, wird heute das Tageslicht möglicherweise nur durch die Fenster sehen. Wie also lautet seine Antwort? In Gedanken zum Sommerurlaub schweifend, wahrscheinlich Juli oder August. Möglicherweise denkt er sogar daran, dass vor knapp drei Wochen noch der goldene Herbst dominierte und antwortet: Oktober.

Wer momentan seine Umgebung aufmerksam beobachtet, der erwischt das Gewohnheitstier Mensch in seiner Umgewöhnungsphase. Wäre er ein Igel, ginge er jetzt in den Winterschlaf. Stattdessen läuft er in zu dünnen Jacken herum und beschleunigt seine Schritte spürbar, weil der November sich plötzlich als Wintermonat präsentiert. Der Mensch ist kein wechselwarmes Tier. Er braucht Zeit zur Anpassung, sprich einen herbstlichen November. Ähnliches wird mit alljährlicher Wiederkehr im Frühjahr passieren, wenn sich an den ersten sonnigen Tagen Wintermäntel und T-Shirts ungefähr die Waage halten.

Eine andere Erklärung ist aber ebenso denkbar. Der Mensch neigt nämlich auch zur Vergesslichkeit. Wer denkt angesichts kalter Schneeregenschauer daran, dass auch Hitze unangenehm sein kann? Wenn man also die gleiche Umfrage am Bahnhof im August durchführen würde, fiele wahrscheinlich eben dieser Monat eher selten als Antwort. Der Befragte, mal wieder zu dick angezogen und bereits um neun Uhr morgens bei 25 Grad schwitzend, würde immer noch auf den Bus warten und darüber fluchen, die schönen Sonnenstunden im Büro verbringen zu müssen. Was also lernen wir daraus? Eigentlich nicht viel. Über das Wetter kann man sich beschweren - oder es ertragen.

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