Medizin:Reha am Lenkrad

Medizin: Bremstest im Spezialauto: Bei einer Übungsstunde vor der Feldafinger Klinik wird am Display des Wagens simuliert, dass ein Ball auf die Straße rollt.

Bremstest im Spezialauto: Bei einer Übungsstunde vor der Feldafinger Klinik wird am Display des Wagens simuliert, dass ein Ball auf die Straße rollt.

(Foto: Arlet Ulfers)

Mit einem speziell konstruierten Trainingsauto können Schlaganfall-Patienten jetzt in der Feldafinger Klinik testen, ob sie fahrtauglich sind. Auf einem Display werden realistische Straßenszenen eingespielt

Von Otto Fritscher, Feldafing

"Herr Doktor, ich kann doch noch Auto fahren, oder?" Das ist die Frage, die Dirk Sander, Chefarzt der Neurologie am Feldafinger Benedictus-Krankenhaus, am häufigsten von seinen Schlaganfall-Patienten hört. Das Auto bedeutet für die meisten Patienten etwas, was ihnen nach der Gesundheit am wichtigsten ist: Mobilität. Gerade weil die Gesundung von einem Schlaganfall oft ein langer Weg ist: "Ein Drittel der Menschen, die einen Schlaganfall erlitten haben, sitzen nach drei Monaten noch im Rollstuhl, 80 Prozent sind bei der Ganggeschwindigkeit noch langsamer", beschreibt Sander den mühsamen Weg "zur Teilhabe am Alltag", was das oberste Ziel der Reha sei. Vor allem für Menschen, die an Bewegungseinschränkungen leiden, sei das Auto das einzige Mittel, um mobil zu bleiben. "Doch oft ist es so, dass ich einem Patienten sagen muss, dass er noch nicht Auto fahren sollte", erklärt Sander, "was viele aber nicht glauben wollen."

Nun hat der Chefarzt eine Möglichkeit, objektiver die Fahrtauglichkeit eines Patienten zu beurteilen. Seit Mittwochabend steht direkt vor dem Eingang der Klinik in der Feldafinger Ortsmitte ein schwarzer BMW X1 - kein normales Auto indes, sondern das erste und bislang einzige "Reha Coaching Car", das BMW einer Klinik gestiftet hat. Auf dem Armaturenbrett ist ein Display installiert, auf dem sich realistische Straßenszenen einspielen lassen, etwa ein Ball, der plötzlich über die Fahrbahn rollt, oder ein Hindernis, vor dem schnell abgebremst werden muss. Der Fahrersitz ist speziell konstruiert, auch ein Handgas für Menschen mit Bewegungseinschränkungen an den Füßen ist eingebaut. "Mit diesen Ausweich- und Bremstests lässt realitätsnah messen, wie gut die Reaktionen des Autofahrers sind", erklärte Thomas von Grossmann, der Leiter des Vertriebs Sonderkunden bei BMW.

Simon Machnik, Geschäftsführer der Benedictus-Krankenhäuser in Feldafing und Tutzing, erinnerte daran, dass sich die Klinik erstmals bereits 2014 an BMW gewandt habe. Dann dauerte es ein ganze Weile, weil bei BMW die Zuständigkeiten wechselten. Gebaut wurde das Trainingsauto im Werk Dingolfing, in der Lehrwerkstatt. "Wir sind gespannt, wie die Patienten auf das neue Angebot reagieren", sagte Grossmann bei der Schlüsselübergabe für das Fahrzeug. Therapieleiterin Julia Weirich und ein Großteil der 35 Ergo- und Physiotherapeuten ließen sich von den BMW-Experten einweisen und probierten das Auto gleich mal selbst aus. "Ja, das Auto ist eine super Möglichkeit für das Alltagstraining", stellte Weirich fest.

Rund 1000 Schlaganfall-Patienten werden in der Feldafinger Klinik jährlich behandelt. Natürlich gibt es ein breites Therapieangebot, um die Menschen "wieder so weit wie möglich zur Teilhabe am Leben zu führen", wie Sander "das oberste Ziel" der Rehabilitation definierte. Es gibt eine Therapieküche, in der das Kochen, aber auch das Einräumen einer Spülmaschine geübt werden kann, und es gibt die verschiedensten Apparate, um die Beweglichkeit zu trainieren. Und jetzt dazu das Auto. Laut Weirich muss nicht nur das Fahren, sondern etwa auch das Einsteigen aus einem Rollstuhl heraus geübt werden. Das Auto ist zudem nicht nur für die Patienten selbst nützlich, sondern auch für deren Angehörige. "Sie können lernen, wie man einen Rollstuhl zusammenklappt und verstaut."

Wie geht Chefarzt Sander nun mit Patienten um, die offensichtlich nicht oder noch nicht verkehrstauglich sind, dies aber nicht einsehen wollen? "Wir vermerken das im Arztbrief, den auch der Hausarzt bekommt und sprechen mit den Angehörigen", erklärt der Arzt. Nur "in ganz krassen Ausnahmefällen" werde das Landratsamt informiert, "denn die ärztliche Schweigepflicht ist das höhere Rechtsgut."

Übrigens: Der X1, ein kleiner Geländewagen, ist eigentlich ein Diesel. Der Motor ist aber abgeklemmt - der sauberste Diesel der Welt, sozusagen.

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