Landsberg:Das Kino - eine Familienliebe

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Zwei Filmbesessene: Kurt Tykwer und Matthias Helwig, der Leiter des Fünfseen-Festivals. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Im Ruhestand kann Kurt Tykwer endlich der Leidenschaft für Arthouse-Filme nachkommen

Von Armin Greune, Landsberg

Seine Söhne hatten es da leichter. Aber Kurt Tykwer musste erst in den Ruhestand treten, um seinen Traumberuf als Kinobetreiber zu ergreifen. Seitdem ist der inzwischen 78-Jährige nicht zu bremsen, wenn es um den leidenschaftlichen Einsatz für Film und Kunst geht. Seit 2007 führt er im Landsberger Stadttheater ein Arthouse-Kino und engagiert sich auch in vielen anderen kulturellen Bereichen. Für die Region zwischen Ammersee und Lech war es ein Glücksfall, dass Tykwer und seine zweite Frau Andrea Birner 2004 aufs Land zogen. Auch das Fünfseen-Filmfestival (FSFF) profitierte von Anfang an von Tykwers direktem Draht zu den nationalen Größen des Kinos: Ohne den Vater des weltberühmten Regisseurs Tom Tykwer wäre es FSFF-Leiter Matthias Helwig kaum gelungen, so viel Prominenz für sein Fest zu gewinnen.

Bei der ersten Auflage 2007 saß Kurt Tykwer noch in der Jury, seitdem hat er - bis auf einmal - stets mit "seinem" Filmforum in Landsberg am FSFF teilgenommen. Heuer etwa bot er Beiträge zur Fritz-Lang-Retrospektive und zur Reihe "Der neue deutsche Autorenfilm" an und konnte dazu Dani Levy ("Alles auf Zucker", "Die Welt der Wunderlichs"), Sebastian Schipper ("Absolute Giganten", "Victoria") und Gordian Maugg ("Fritz Lang") begrüßen. Aber auch Hanna Schygulla, Armin Mueller-Stahl, Volker Schlöndorff, Wim Wenders und Michael Ballhaus waren schon in Landsberg zu Gast.

Wenn Tykwer Besuchern seine 138 Jahre alte Spielstätte vorführt, blitzt Enthusiasmus auf: Das Stadttheater mit dem geräumigen Foyer hinter der modernen Fassade und dem kompakten, holzverkleideten Saal sei für ihn eine Liebe auf den ersten Blick gewesen. "Für so ein Mehrspartentheater ist ein Kino unerlässlich", fand Tykwer: "Ich hab' die Frechheit besessen, mit der Idee gleich zu Bürgermeister Ingo Lehmann zu gehen". Der hatte keine Einwände - und der im Theater spielfreie Montag wurde zum Filmkunsttag.

Das Kino sei eine Art "Familienliebe" bei den Tykwers. Seit dem siebten Lebensjahr war Kurt Tykwer Stammgast in Lichtspielhäusern. Als er nach dem Krieg in Recklinghausen aufwuchs, profitierte er davon, dass die Mutter seines besten Freundes bei der Zeitung Kulturredakteurin war: "Dadurch sind wir an Freikarten für die Ruhrfestspiele gekommen". Tykwer versäumte von 1949 bis zu seinem Abitur 1958 wohl keine Vorstellung. Für ihn war längst klar, dass er Theater- und Literaturwissenschaften studieren wollte. Doch sein Vater und vor allem "der Großvater, der als hoher Beamter acht Kinder zu ernähren hatte" stimmten ihn damals um, einem gesicherten Broterwerb nachzugehen. Und da ein Onkel eine Weberei im Münsterland hatte, besuchte Kurt Tykwer die Textilingenieurschule.

So kam es, dass sein Lebenstraum zunächst von den Söhnen umgesetzt wurde. Von klein auf begleiteten Mark und Tom die Eltern ins Kino und zu anderen Kulturveranstaltungen: Kurt und Anna Tykwer waren im Vorstand der Wuppertaler "Börse", eines der ersten alternativen soziokulturellen Zentren Deutschlands. "Tom hat dann schon mit 14 Jahren das kommunale Kino in Wuppertal gemacht", erinnert sich der Vater. Das weitere lässt sich in jedem Lexikon nachlesen: 1988 übernahm Tom ein Kino in Kreuzberg, 1993 erhielt er den Preis der deutschen Filmkritik für "Die tödliche Maria" als bester Spielfilm. Mit "Lola rennt", der auf dem Sundance Festival 1999 den Publikumspreis als bester ausländischer Film gewann, wurde auch Hollywood auf Tykwer aufmerksam.

Es folgten international erfolgreiche Großproduktionen wie "Das Parfum", "The International" oder "Cloud Atlas". Tykwers älterer Sohn Mark blieb dem Kino und auch seiner Heimat treu: Heute organisiert er in Wuppertal Kulturprojekte wie das "Talflimmern" und gestaltet Filmreihen. "Inzwischen mischen da auch seine beiden 18 und 14 Jahre alten Söhne kräftig mit", erzählt der Großvater stolz.

Kurt Tykwer sieht aber auch keinen Grund, die eigene berufliche Karriere zu bereuen: Der Job in der Textilindustrie brachte kreative Aufgaben und Reisen in die Kulturmetropolen der Welt mit sich. Als er 2004 seine Modedesignfirma "Aviva" verkaufte, war es Zeit, die finanziellen Belastungen durch zwei Mietwohnungen in München zu reduzieren: Tykwer und die Künstlerin Birner zogen in ein einstiges Schulhaus in Finning. Nach 18 Jahren, in denen beide das Kulturleben der Landeshauptstadt genießen konnten, mussten sie in der Provinz selbst initiativ werden. So gründete Tykwer mit Eric Gand die Galerie "Kunstraum Schwifting", noch bevor er das Filmforum ins Leben rief.

Es fällt schwer, den vor Energie sprühenden Mann mit der schlohweißen Mähne seinem numerischen Alter zuzuordnen. Landsberg habe er von Anfang an als "unheimlich lebendige Stadt" erlebt. Auf ein Programmkino schienen alle nur gewartet zu haben - bis auf das alteingesessene "Olympia" vielleicht, das inzwischen aber weit mehr unter der Konkurrenz der Multiplex-Kinos in Penzing und Kaufering leidet. Zur Eröffnung des Filmforums wurde treffend "Cinema Paradiso" gezeigt, Georg Trenz präsentiert eine Lichtinstallation in der Säulenhalle, auf dem Podium führten Tom Tykwer, Trenz, Matthias Helwig und die Philosophin Christine Voss ein Filmgespräch. Anfangs unterstützte Helwig den Kinobetreiber bei der Disposition, also beim Beschaffen der Filme. Die digitale Projektionstechnik hatte Tykwer vorfinanziert, sie wurde dann von der Stadt Landsberg abgelöst. Seit zwei Jahren ist das Filmforum nun ein kommunales Kino, für die Programmgestaltung und seine Einführungen wird Tykwer nun mit einem bescheiden dotierten Werkvertrag entlohnt, außerdem erhält er 15 Prozent der Eintrittsgelder. Eine überschaubare Erfolgsbeteiligung bei jährlich 5000 Besuchern. Doch Tykwer weiß: "Für diese Art Kino ist das viel Publikumszuspruch".

© SZ vom 06.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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