Kunst:Klokers Schatztruhe

Der gelernte Schriftenmaler hat das einstige Fremdenverkehrsbüro in Schondorf, das Skriptorium, wieder in Besitz genommen. Er zeigt dort unter dem Titel "Obdach" Fundstücke wie Marmor aus Palmyra und einen Eisenmeteoriten aus Afrika

Von Armin Greune, Schondorf

In den 20 Jahren, seitdem es Andreas Kloker bespielt oder bespielen lässt, ist das kleine Skriptorium zur kulturellen Instanz in Schondorf gewachsen. Das ehemalige Fremdenverkehrsbüro im Herzen des Orts war Schauplatz für einmalige und jährlich wiederkehrende Ereignisse wie den poetischen Adventskalender "24 Tage, 24 Texte". Das unscheinbare Häuschen diente als Atelier und beherbergte Gastaustellungen, fünf Jahre lang präsentierte die Dießener Künstlerin Katharina Ranftl zuletzt dort ihre "Montagsfiguren". Nun will Kloker das Skriptorium "wieder in Besitz nehmen": Unter dem Titel "Obdach" zeigt er Fundstücke, die zunächst heimat-, nutz- und wertlos erscheinen, aber Bedeutung gewinnen, wenn man sich näher mit ihnen befasst.

Das Projekt war eigentlich unter dem Namen "kleine beheimatung" als Hauptattraktion des Kreiskulturfestes im Juli in Schondorf gedacht. Kloker wollte in der gemeindeeigenen Güterhalle am Bahnhof eine Installation mit Performance vorführen - scheiterte aber mit seinem Antrag an einem Patt im Gemeinderat. In ihrem schon fast fanatischen Bestreben, das denkmalgeschützte Lagerhaus abreißen zu lassen, verweigerten sieben von 14 Räten ihre Zustimmung: Sie befürchteten, die Kunstaktion könnte das historische Gebäude "aufwerten". Nun hat Kloker das ursprünglich als Gesamtinstallation geplante Projekt zu einer Wechsel-Ausstellung umgearbeitet: Alle acht oder 14 Tage werden die Exponate neu arrangiert oder mit anderen Fundstücken ergänzt. Zum Auftakt sind zwei Marmorbruchstücke aus der antiken syrischen Oasenstadt Palmyra zu sehen. Die Fragmente zeigen den Abdruck einer Borte und den Teil eines Frieses, der vielleicht bei der Niederschlagung eines Aufstands in Trümmer ging. Kloker hat sie "vor 45 Jahren unbedacht aus Begeisterung mitgenommen", wie er in seinem Begleittext schreibt. Und er fragt sich: "Ob ich je Gelegenheit haben werde, die beiden Stücke wieder in ihre Heimat zurückzubringen?"

Kunst: Heimat, Flucht und Entfremdung spielen in Andreas Klokers Arbeit oft eine Rolle. Nun präsentiert er im Skriptorium unter dem Thema "Obdach" eine Wechselaustellung und erneuert die Fassade.

Heimat, Flucht und Entfremdung spielen in Andreas Klokers Arbeit oft eine Rolle. Nun präsentiert er im Skriptorium unter dem Thema "Obdach" eine Wechselaustellung und erneuert die Fassade.

(Foto: Arlet Ulfers)

Die Objekte, die er in den nächsten Wochen und Monaten im Skriptorium aufbauen und mit textlichen Gedankenspielen versehen will, sind meist als "Obdachlose" vor langer Zeit in sein Haus gekommen. "Gegenstände sind geduldig, sie können warten, bis sie mal wieder ans Licht gerückt werden. Ihre Halbwertzeit ist oft wesentlich länger als die unseres Körpers", schreibt der Künstler. Zu diesen "Freunden, die von sehr weit herkommen", zählt ein Eisenmeteorit aus Afrika, den er geschenkt bekam. Ein simples, ausziehbares Holzwägelchen auf drei Rädern mit Deichsel fand Kloker im verlassenen Haus eines nach dem Zweiten Weltkrieg Geflüchteten. Zwei Knöchelchen, anatomisch als Ossa cordis bekannt, hatten ihre ursprüngliche Heimat im Herzen eines Rindes. Ein Brocken Tuff war aus der Wand der vormaligen römischen Villa Rustica in Schondorf gebrochen worden und sollte wohl im Mittelalter zu Kalk gebrannt werden.

Wie fast immer geht es Kloker mit seiner Ausstellung nicht um das Museale, sondern um die Erkenntnis des Momentanen, die Dynamik zwischen Entstehen und Vergehen. Der Künstler sucht in den Gegenständen verborgene Kontexte: "Sehen allein vermittelt nicht Wissen" / "Was wir beim Betrachten in den Dingen sehen ist ja nur ein Funke des ihnen innewohnenden Universums", so Kloker. Als gelernter Fassaden- und Schriftenmaler will der vielseitige Künstler die Begrifflichkeiten verdeutlichen, die zwischen Bezeichnetem und Bezeichnung vermitteln. In einem früheren Projekt hatte er zunächst Objekte gezeigt, sie dann entfernt und stattdessen Beschreibungen von ihnen ausgestellt, die er in der dritten Phase schließlich durch Zeichnungen ersetzte. Und schon 1997 hatte er mit der Installation "Löffel Löffel Löffel" Verwandtschaft und Fremdheit der Dinge erforscht, indem er je drei Gegenstände in seinem Skriptorium im allmählichen Wechsel präsentierte, wie etwa Schere, Pinsel und Papier.

Schondorf, Andreas Kloker

Zwei Marmorbrocken aus Palmyra zum Auftakt: Der Künstler will in den Dingen die verborgenen Kontexte aufdecken.

(Foto: Georgine Treybal)

Wie so oft stellt Kloker aber auch mit "Obdach" thematische Bezüge zu Heimat, Flucht und Entfremdung her. "Bekanntmachungen für Heimatvertriebene" steht alle Jahre wieder über dem Schaukasten des Skriptoriums, wenn dort der poetische Adventskalender "24 Tage, 24 Texte" zu sehen ist. Und noch sind die Außenwände des Häuschens mit Schriftzügen bedeckt, die über Heimat und Muttersprache von Freunden und Mitbürgern Auskunft geben. Doch sie werden in den kommenden Wochen allmählich verschwinden: Wenn Kloker von Zeit zu Zeit im Haus arbeitet, will er immer wieder Stücke der Fassade abkratzen und sie so auf einen neuen Anstrich vorbereiten. Was dann die Außenmauern zieren soll, ist noch offen - aber es gäbe schon viele Ideen, versichert er: "Zum Abschluss meiner Performance wird es eine Einladung geben."

Bis dahin will Kloker "wieder Gäste für das Schaufenster gewinnen": Auch in Zukunft werde er den Raum anderen Künstlern für Ausstellungen überlassen. Das Skriptorium wurde einst als Verkehrsbüro und Buswartestelle gebaut, danach diente der Kiosk als Auslage eines Schmuckladens. Bevor es Kloker anmietete, ließ man es als Rumpelkammer verkommen. Heute ist es unentbehrlich geworden und aus dem Kulturleben am Ammersee nicht mehr wegzudenken - ein wahres Glück also, dass das Gebäude der Abrissbirne entgangen ist. Die Parallelen zum Lagerhaus am Bahnhof liegen für jeden auf der Hand, der sich noch nicht völlig im politischen Streit um das Gebäude verrannt hat.

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