Kulturmacher:Jedes Jahr ein Baby

Anton G. Leitner

Der Autor, Verleger und Veranstalter Anton G. Leitner, 54, ist Mitgründer und Herausgeber der Zeitschrift "Das Gedicht".

(Foto: Volker Derlath)

Der Lyriker Anton G. Leitner gibt seit 23 Jahren die Zeitschrift "Das Gedicht" heraus und setzt inzwischen auch aufs Internet

Von Anton G. Leitner

Der zahlende Besucher, der ins Konzert geht, das Kinofestival besucht oder das Museum, will ein Ergebnis sehen. Zu Recht. Wie viel Arbeit dahintersteckt, bis das Konzept einer Jazz- oder Klassikreihe steht, die Rockband den Auftritt zusagt und das erste Bild einer Ausstellung am Nagel hängt, interessiert ihn in dem Moment nicht. Dabei ist auch das ein Kunststück: Festivals, Musik- und Theaterreihen trotz geringer Zuschüsse über Jahre am Laufen zu halten. In der SZ-Serie "Kulturmacher" schreiben Veranstalter, wie ihnen das gelingt und mit welchen Schwierigkeiten sie zu kämpfen haben.

Einen neuen Band meiner buchstarken Jahresschrift "Das Gedicht" herauszubringen, ist fast wie eine Schwangerschaft: Anfang Januar 2015 traf ich mich mit meiner diesjährigen Mitherausgeberin Kerstin Hensel in den Verlagsräumen in Weßling. Gemeinsam mit der Berliner Dichterkollegin und Professorin für Verssprache ging ich auf Themensuche und überlegte, wen wir zur Mitarbeit einladen.

Gute neun Monate später wurde unser gemeinsames Lyrikbaby gedruckt. Wir tauften den Nachwuchs, der dieses Mal Gedichte vom Essen und Trinken versammelt, auf den Doppelnamen "Götterspeise & Satansbraten". In wenigen Tagen werden wir unser jüngstes Kind der "Gedicht"-Familie im Literaturhaus München vorstellen. Mit mehr als 30 Lyrikerinnen und Lyrikern aus dem ganzen deutschen Sprachraum feiern wir am Dienstag, 27. Oktober, von 20 Uhr an das Neugeborene im Literaturhaus München.

Bereits 1992 gründete ich den Anton G. Leitner Verlag, in dem heuer der 23. Jahrgang meines Magazins für zeitgenössische deutschsprachige Lyrik erscheint. Bis zum Jahr 2000 ist die Druckauflage von "Das Gedicht" gestiegen, danach wurde es - nicht nur für uns - immer schwieriger, Lyrikbände im Buchhandel zu platzieren und kostendeckend zu arbeiten. Wir setzen daher verstärkt auf Direktvertrieb und verkaufen Einzelexemplare sowie Abonnements über unseren eigenen Lyrikshop unter DasGedicht.de.

Das Internet als Kommunikationsinstrument fasziniert mich seit jeher. Daher nutze ich es für die Lyrikvermittlung: Unser Online-Forum DasGedichtBlog.de macht es möglich, die gedruckte Ausgaben ins Netz zu verlängern. Die aktuelle Nummer meiner Zeitschrift verfügt mit 111 Gedichten über einen opulenten Lyrikteil. Weil uns aber wesentlich mehr gute Texte erreicht haben, als wir drucken konnten, und weil sich unsere elektronischen Anthologien immer größerer Beliebtheit erfreuen, stellen wir weitere Poesie zum Essen und Trinken auf unserem Blog vor - und das noch bis ins Frühjahr 2016.

Durch unsere Online-Aktivitäten hat sich das Konzept von "Das Gedicht" dynamisch verändert. Unsere Jahresschrift, die früher zu gleichen Teilen Gedichte, Essays und Kritiken veröffentlichte, beinhaltet heute hauptsächlich Lyrik und Essays. Vor allem unsere Kritiken verlagern wir ins Netz, weil sie dort aktueller, umfangreicher und multimedial dargeboten werden können. Mittlerweile arbeiten viele Kenner des Literaturbetriebs in unserer Online-Redaktion mit und bespielen monatlich eigene Rubriken im Blog.

Es ist verblüffend: Pfiffige Lyrikaktionen im Internet können bereits in wenigen Tagen so viele Leser finden wie manch erfolgreiche Anthologie in Buchform. Den Beweis dafür liefert mein Projekt zur Lutherdekade in Zusammenarbeit mit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (ELKB). So gönnten sich allein zwischen dem 21. März und 28. Juni 2015 etwa 30 000 Interessierte eine lyrische Pause. Jetzt habe ich aus der erfolgreichen Internet-Sammlung unter dem Titel "Pausenpoesie. Gedichte zum Neustarten" einen Geschenkband für meine Edition "Das Gedicht" zusammengestellt. In Zukunft möchte ich öfters erfolgreiche virtuelle Sammlungen in das bewährte Medium Buch transformieren - ein neues Konzept, das wiederum unserer Zeitschrift zugute kommt.

Die gedruckte Ausgabe von "Das Gedicht" bildet das Zentrum meiner verlegerischen Aktivitäten. Zu ihrem Fortbestehen tragen neben meinem Engagement im Internet auch unsere Dienstleistungen im Bereich Lektorat und Buchkonzeption sowie die Autorenseminare und Veranstaltungen bei. Unser nächster Poetenwettbewerb um den "8. Hochstadter Stier", der in einen Lyrikworkshop eingebettet ist, findet Ende Januar 2016 ganz im Zeichen von Essen und Trinken statt.

Jeder Euro, den ich verdiene, wird in "Das Gedicht" reinvestiert, so etwa die Einnahmen aus meinen 2015 bei dtv erschienenen Anthologien "Gedichte für Reisende" und "Weihnachtsgedichte" oder das Honorar für meine experimentellen Toncollagen bei Deutschlandradio Kultur. Zur Leipziger Buchmesse realisierte ich vier Beiträge zum Thema "Wenn Verse locken. Das Gedicht im Liebeseinsatz". Auch den Erlös aus dem Direktverkauf meines gerade in limitierter Auflage erschienenen Künstler-Booklets "So a Gschiss. Bairisches Schnablgwax" mit Gedichten in bairischer Mundart stecke ich in den Verlag.

Mitte kommender Woche (, 28. Oktober, 19 Uhr, Münchner Künstlerhaus) erhalte ich zusammen mit dem Regisseur Marcus H. Rosenmüller, dem Kabarettisten Christian Springer und der Band "La Brass Banda" den "Bayerischen Poetentaler 2015" für mein fast vier Jahrzehnte währendes, poetisches Engagement. Über diese Auszeichnung, die auch als "Grand Prix Bavaroise" bezeichnet wird, freue ich mich sehr: Dass damit mein Einsatz für die Lyrik gewürdigt wird, macht neuen Mut für die Vergrößerung meiner "Gedicht" Familie um weitere Kinder . . .

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