Konzert:Multitasking an der Orgel

Orgelmatinee mit Paolo Oreni; Orgelmatinee mit Paolo Oreni

Organist Simon J. Holzwarth.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Simon J. Holzwarth springt bei den Dießener Matineen für Paolo Oreni ein und zieht alle Register

Von Reinhard Palmer, Dießen

Das sind die Gelegenheiten, groß rauszukommen, die Sprungbretter: wenn renommierte Musiker kurzfristig ausfallen und ganz schnell Ersatz her muss. Der italienische Konzertorganist Paolo Oreni sagte aus familiären Gründen seinen Auftritt in Dießen ab. Für ihn sprang der erst 22-jährige Simon J. Holzwarth ein, der seit 2015 Student an der Musikhochschule in Detmold ist. Holzwarth hat bereits einige Wettbewerbserfolge vorzuweisen und konzertiert längst über die deutschen Grenzen hinaus. So brachte er zu den Orgelmatineen im Marienmünster ein Programm mit, das er kürzlich in La Madeleine in Paris spielte und das daher schwerpunktmäßig der französischen Orgelsymphonik gewidmet ist. Seit seinem Aufenthalt in Paris 2007 ist dies sein Spezialgebiet, besonders in Verbindung zur dortigen Improvisationstradition.

Letztere fand sich zunächst mit "Trois improvisations" im Programm. Allerdings aus neuerer Zeit von Nadia Boulanger. Holzwarth ehrte sie im Konzert deshalb, weil sie einst in La Madeleine Organistin gewesen ist und wohl auch, weil sich ihr Geburtstag in wenigen Tagen zum 130. Mal jährt. Doch Holzwarth reihte sie deutlich in die französische Tradition ein. Vor allem durch reichhaltige Modellierung mit unentwegten Register- und Manualwechseln unter intensiver Differenzierung mit dem nachträglich in die historische Caspar-König-Orgel von 1739 eingebauten Schweller. 1878 klanglich im Sinne der Romantik umgestaltet und in jüngerer Zeit mit zusätzlichen Registern erweitert, liefert das Instrument eine üppige Farbigkeit, die Holzwarth großzügig nutzte. Und da der Gastgeber und künstlerischer Leiter der Konzertreihe, Stephan Ronkov, bei den Matineen den Zugang auf die Orgelempore gewährt, bekamen die Konzertbesucher eine Menge zu sehen. Bisweilen reichte Ronkovs Assistenz beim Registrieren gar nicht aus, um die Vorstellungen des jungen Orgelvirtuosen reibungslos zu erfüllen. Dabei wurden aber auch Holzwarths Kapazitäten sichtbar, der nicht nur vier Manuale und das Pedal bediente, sondern auch zwischendurch selbst mitregistrierte - notfalls mit dem Fuß - und noch in der Lage war, Ronkov Anweisungen zum Registrieren zu geben. Vielleicht entzauberte dieses geschäftige Treiben etwas die Musik, doch ist die Kirchenorgel eben auch eine Maschine, die entsprechend handwerklich bedient werden will.

Dennoch litten die musikalischen Aspekte nicht darunter, vermochte doch Holzwarth mit Spannung und Intensität zu phrasieren und musikalische Verläufe transparent darzulegen. Letzteres ist besonders zu betonen, ist doch die französische Orgelsymphonik sehr malerisch angelegt, teilweise mit weitschweifenden Themen ausgestattet, die im Grunde erst im Gesamtbild ihre Wirkung entfalten. So vor allem in der lyrisch-melancholischen 4. Orgelsymphonie g-Moll op. 32 von Louis Vierne aus den Jahren 1913/14, die zu den Schlüsselwerken der französischen Orgelschule gehört und César Francks Vorbild folgend schon eine reiche Registrierung vorschreibt. Holzwarth ließ den symphonischen Ansatz nicht aus den Augen und spannte einen weiten dramaturgischen Bogen. Nach der vibrierenden Romance formte er schließlich aus der gewonnenen Spannung ein fulminantes Finale in dichter Textur mit gewaltiger Klangmasse am Schluss.

Bei Alexandre Guilmant, dem einstigen Titularorganisten in La Trinité von Paris, war die Aufgabe insofern leichter, als seine Musik kraftvoller und klarer konturiert ist. Aus seiner 2. Sonate op. 50 arbeitete Holzwarth insbesondere eine feierlich-majestätische Charakteristik heraus, die sich im Mittelsatz zudem mit warmer Klangverdunkelung deutlich zur Romantik bekannte. Das Allegro-Vivace-Finale setzte orchestrale Größe drauf und sparte nicht am - zumal vom Komponisten vorgeschriebenen - Klangvolumen.

Das sollte in der Zugabe mit einer zeitgemäß mutigen Improvisation über Kirchenlied-Themen noch einmal zur Begeisterung des zahlreich erschienenen Publikums eine wirkungsvolle, ja wilde Steigerung erfahren.

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